Glücksgefühle beim Stricken

ICH Können Marmelade kochen und Yogaübungen helfen, eine neue Innerlichkeit zu erreichen? Nützt das Streben nach Harmonie und Ausgleich überhaupt etwas, oder ist es schlicht spießig?

Jedes selbst gebaute Möbelstück aus Recyclingmaterial ein Schlag in die Fresse der Warenindustrie!

VON NINA APIN

Seit Neuestem bringe ich unsere Gemüsereste immer zu meiner Nachbarin: Aus Kohlrabiblättern, Sellerieschalen und Spinatstängeln presst sie grüne Smoothies. Die gesunden Säfte selbst herzustellen, mache sie glücklich, sagt sie. Meine Nachbarin macht übrigens auch ihren Lippenstift selbst. Zwischendrin geht sie zum Qigong und singt für den Einklang von Körper und Seele.

Meine Nachbarin ist keine Ausnahme, wie ein Blick auf die aktuellen Bestsellerlisten zeigt: Im Freizeitbereich und bei den Ratgebern stehen Bücher über veganes Kochen, selbst gemachte Smoothies und Entspannungstechniken ganz oben. Auch an den Kiosken vermehren sich Zeitschriften wie Flow oder My Harmony, die das bescheidene Leben und die guten, selbst gemachten Dinge preisen. Sogar im Zeitmagazin können LeserInnen von der Rubrik „Die Wundertüte“ lernen, wie man strickt und Kaffee selber röstet.

Studien zufolge begeistert sich besonders die gut gebildete urbane Mittelschicht für das einfache Leben im Einklang mit der Natur und sich selbst. Und die Jugend sehnt sich, auch das belegen Zahlen, wieder nach Kleinfamilie und eigenem Häuschen. Während die Eltern nach Jahren der selbstentfremdeten Medienarbeit in der Küche zu sich kommen, strebt der Nachwuchs die Einbauküche mit Smoothie-Blender gleich von vornherein an. Was bedeutet dieser Trend? Ein Rückzug vor den Zumutungen der globalisierten Welt in ein zuckrig-infantiles Eiapopeia-Land?

Ergeben wir uns einer zeitgemäßen Variante der neobürgerlichen Innerlichkeit, wie sie in Spießerhaushalten der fünfziger Jahre zu Hause war: Jeder Mann ein tüchtiger Heimwerker, jede Frau eine patente Marmeladenköchin? Vielleicht ist es aber auch vorschnell, SelbermacherInnen und HandwerkerInnen der Weltflucht zu bezichtigen. Marmeladen aus dem eigenen Garten einzukochen, statt im Supermarkt zu kaufen, kann auch ein politisches Statement sein. Und ist es etwa nicht gesellschaftskritisch, aktiv an einem entschleunigten Leben mit gesunder Work-Life-Balance zu arbeiten, statt sich an Leistungsstreben aufzureiben?

Selbermachen als Selbstermächtigung. Jedes selbst gebaute Recycling-Möbelstück, jeder Schmuck aus dem 3-D-Drucker ein Schlag in die Fresse der Warenindustrie! Ob überhaupt und wie das gehen kann, darüber wird auf dem taz.lab 2015 dringend zu diskutieren sein.