Kunst mal von der Stange?

SOMMERKOLLEKTION Manfred Pernice hat im Neuen Berliner Kunstverein ein wundersames Skulpturenlager der Antiformen geschaffen

Persönlich spricht uns der Künstler am Eingang seiner Ausstellung im n.b.k. Showroom mit einem handschriftlichen Brief als „Liebe Freunde“ an. Er freue sich, seine neuen Arbeiten aus der (Sommer-)kollektion präsentieren zu können. Der Kurator habe kurzfristig einen Lagerraum der Artothek freiräumen lassen, um diese Präsentation zu ermöglichen.

Der Ausdruck „Lagerraum“ ist für die geschaffene Atmosphäre durchaus geeignet. Nur eine Deckenleuchte und zwei Schreibtischlampen spenden im Eingangsbereich Licht, während der restliche Raum, weit entfernt von der tadellosen Helligkeit eines White Cubes, nicht weiter ausgeleuchtet ist. Auch die Platzierung lässt an ein Depot erinnern. Es wurden zwei Reihen mit je fünf etwa gleichgroßen Objekten gebildet, denen ein Linienraster auf dem Boden je eine Parzelle zuweist.

Ist die gesamte Installation ein Warenlager, in dem Restposten darauf warten, doch noch gekauft zu werden? Zwei rote Würfel auf denen „40 %“ oder gar „50 %“ steht und ein roter Zylinder mit der Aufschrift „Sale“ verstärken den Eindruck, dass hier etwas günstig zu haben ist. Manfred Pernice spricht auch in seinem Brief davon, dass er ein paar Stücke herabgesetzt habe, „um auch denjenigen die Möglichkeit zu geben eine Arbeit zu erwerben, deren Brieftasche nicht so gefüllt ist“. Verschmitzt wird der Kunstmarkt persifliert, dem es um alles andere geht als ums Verscherbeln. Noch dazu scheint seine Ware „von der stange“ zu sein, so zumindest nennt er seine skulpturale Anordnung.

Woraus aber besteht die Kollektion? Von der Stange würde dafür sprechen, dass es sich um Massenware ohne Individualität handelt, aber ganz so sieht die Lage doch nicht aus. Jedes Element ist einzigartig, austauschbar ist nur das Herstellungsprinzip der variablen Bauklotzkörper, in denen Pernice Archivmaterialien, skulpturale Versatzstücke oder Teile älterer Arbeiten je anders kombiniert und das Material in seiner Potenzialität neu bewertet hat. Ähnlich der Methode des Recyclings wird aus Ausgangsmaterialien unterschiedlicher Herkunft ein neuer ästhetischer Mehrwert erzeugt und wieder in den Kunstzusammenhang zurückgeführt respektive in diesem reproduziert.

Würden wir uns nun tatsächlich in einem Depot befinden, stellt sich die Frage, was in den aufgestellten Blöcken denn wohl eingelagert ist? Von außen zumindest lässt sich nicht auf deren mögliche Inhalte schließen. Mehr noch, teils evozieren sie zwar die Vorstellung von Behältnissen, sie sind aber an sich auch starke Objekte. Ihre Form kann diese meist einfarbigen, aus Holz und Pressspan gearbeiteten Skulpturen zu Assoziationsträgern machen, so besitzt eine der Kuben ein eingefügtes Kissen, als handle es sich um ein Sitzmöbel. Aufgeklebte Bildmaterialien, wie ein Hinweis auf die Neueröffnung einer Backstube, ein Plakat, das „Bastelspaß mit der Maus“ anbietet oder Technikmotive auf alten Ansichtskarten, bilden narrative Elemente, die in vielerlei Richtungen weisen. Sie besetzen die abstrakten Modul-Formen und können von der Frage nach möglichen Inhalten ablenken.

Folgten wir eben noch der Vorstellung von einem Aufbewahrungsort, so schafft Pernice letztlich einen skurrilen Raum, der sich über seine Formen und seine Assoziationen definiert und immer wieder einen verschmitzten Humor durchschimmern lässt. Es sind postminimalistische Skulpturen, die einen prozesshaften, offenen Charakter zelebrieren und die Betrachter auffordern, an der Bedeutungsproduktion teilzunehmen. Schließlich sind das, was wir sehen, alles andere als gesichtslose Objekte von der Stange.

JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

■ Manfred Pernice: „von der stange“. n.b.k., Chausseestraße 128/129, bis 28. Oktober