Welche Saison bevorzugen Sie?

Baden-Baden hat sich zur deutschen Hauptstadt der gehobenen Festkultur entwickelt. Einen ordentlichen Kurbetrieb hat es in Baden-Baden trotz Heilquelle und Trinkhalle ohnehin nie gegeben. Neues Kleinstadtflair für anspruchsvolle Flaneure

Badevergnügen: Friedrichsbad und Caracalla-Therme liegen am Römerplatz, Tel. (0 72 21) 27 59 20/40, www.carasana.de Auskunft: Entweder beim Info-Pavillon in der Schwarzwaldstraße 52 oder beim „i-Punkt“ in der Trinkhalle an der Kaiserallee, Tel. (0 72 21) 27 52 00, info@baden-baden.com Infos zu den Kutschfahrten: Tel. (0 72 21) 27 52 81 oder sales@baden-baden.com Festspielhaus: Tickets fürs Festspielhaus (Beim Alten Bahnhof 2) Tel. (0 72 21) 3 01 31 01, Fax: (0 72 21) 3 01 32 11, www.festspielhaus.de Das Restaurant Medici im ehemaligen „Haus des Kurgastes“ bietet die schönste Raucherlounge der Stadt und beeindruckt mit neuer Terrasse inklusive Kurparkblick, www.medici.de

VON CARSTEN OTTE

Kaum ist man dem ICE entstiegen, kann die Fahrt mit der Kutsche weitergehen, hinauf ins idyllische Oosbachtal. Wer hingegen das Taxi wählt oder den Bus nimmt, sollte auf die Hinweisschilder achten. Centrum Baden-Baden, immer geradeaus. Das seltsame C in Kombination mit dem Doppelnamen geben einen Vorgeschmack auf den Stil eines Ortes, der so gut wie nichts mit dem Rest der Republik zu tun hat. Insofern ist die Kutschfahrt durchaus angemessen. Artur Roth, der Mann an den Zügeln, trägt weiße Handschuhe, Frack und Zylinder. Die Kutschfahrt wird oft gebucht, vor allem in der Opernsaison.

Jetzt es wieder so weit. An diesem Wochenende beginnen die Herbstfestspiele mit Wagners „Tristan und Isolde“. An die neuen Musikfestivals mussten sich die Baden-Badener erst gewöhnen. Das taten sie, als die Stadtkasse sich vom Bau des Festspielhauses langsam erholte und immer mehr Zuschauer aus der Ferne anreisten, um im akustisch überzeugenden Haus die Wiener und Berliner Philharmoniker zu hören. Der Großteil des Publikums kommt inzwischen von außerhalb, was auch dringend nötig ist bei 2.500 Plätzen in einem 55.000-Einwohner-Städtchen.

Das Festspielhaus ist auch deshalb ein Faszinosum, weil der laufende Betrieb zu zwei Dritteln von privaten Spendern finanziert wird. Die Namen der Geldgeber sind im Foyer und auf Pflastersteinen vor dem alten Eingangsportal eingraviert. Oft wurde darüber gelächelt, wie hier eine betuchte Bürgerschicht ihr harmloses Wunschprogramm, vor allem aber sich selbst feiert. Doch der Kritikerzuspruch zu den Eigenproduktionen hat zugenommen, was nicht zuletzt daran liegt, dass Intendant Andreas Mölich-Zebhauser auch Anspruchsvolles präsentiert.

Pierre Boulez dirigiert im Rahmen der Herbstfestspiele neben eigenen Werken die Uraufführung des Stücks „Amériques“ von Mark André. Ein Star auf Festivals zeitgenössischer Musik, dem breiten Publikum eher unbekannt. Boulez kann sich das erlauben, er gehört zu den Hausgöttern. „Pierre wohnt dort oben am Hang und wacht darüber, was ich hier unten treibe“, erklärt der verschmitzte Mölich-Zebhauser. Sein Vertrag läuft bis 2012, und er kann sich vorstellen, länger in Baden-Baden zu bleiben. „In the middle of beauty“, wie er sagt. Von der Schönheit der Kurstadt schwärmt auch Olivier Maugé, ein extravaganter Modedesigner und Hutmacher. Leidenschaftlich redet er über richtige Schnitte, ausladende Hutformen und passende Accessoires. Wenn er nicht wieder mal vom Handyklingeln unterbrochen wird … „Ja, das Kleid wird rechtzeitig zur Premiere fertig“, versucht er eine russische Kundin zu beruhigen. Seine Stimme ist kaum zu verstehen im geschäftigen Gemurmel seines Ladens. Die junge Baden-Badener Drehbuchautorin Regine Bielefeldt, Stammkundin bei Maugé, verlangt nach einer hellgrünen Tasche. „Ich hätte nicht gedacht, dass eine Stadt so stark von Saisons geprägt sein könnte“, sagt Bielefeldt, die vor einem Jahr von Berlin nach Baden-Baden umgezogen ist. „Ballsaison und Festspielsaison. Fernsehtage und New Pop Festival. Da bleibt kaum Zeit, in den Urlaub zu fahren.“

Gerade wurde Bielefeldts neuer Film gedreht. Eine Folge der ARD-Fernsehreihe „Bloch“, in der Dieter Pfaff einen Baden-Badener Psychologen und freigeistigen Ermittler spielt. Das erfolgreiche Krimiformat vermittelt den Eindruck, dass in Baden-Baden mehr los ist als in einer deutschen Großstadt. Und das ist so falsch nicht. An traditionsreichen Orten wie der Trinkhalle werden mittlerweile Salsa-Partys gefeiert, und im berühmten Casino trifft man sich, um einen Gin Tonic zu trinken. Wenn unter schweren Kronleuchtern das Geklacker der Jetons lauter wird, die Gesichter der Spieler versteinern, die dezenten Ansagen der Croupiers noch leiser werden, hat man das Gefühl, dass es hier eine Zukunft für die Vergangenheit gibt.

Der historische Kern der Kurstadt bietet eine fast geschlossene Architekturlandschaft, nur selten passt ein Gebäude nicht ins klassizistische Gefüge. An jeder Ecke plätschert ein Brunnen, überall laden Sitzgelegenheiten zum Verweilen ein. Baden-Baden ist eine Stadt für Flaneure. Und für Hochzeitsgesellschaften. Im Sommer sieht man jeden Tag ein frisch vermähltes Paar, das sich in der Kutsche durch die Alleen fahren lässt. Im Zweispänner von Artur Roth lässt sich Baden-Baden tatsächlich gut erkunden. Roth fährt die Alleen entlang und erzählt von all den Berühmtheiten, die in Baden-Baden mal zu Gast waren. „Könige, Kaiser und Künstler. Brahms, Beckmann, Berlioz.“ Seine Tour führt selbstverständlich auch zur wichtigsten Institution der kurstädtischen Gastlichkeit, zu Brenners Park-Hotel. Das Traditionshaus ist in den vergangenen Jahren behutsam modernisiert worden, und die Verjüngungskur ist längst nicht abgeschlossen. „Schauen Sie mal“, sagt Hoteldirektor Frank Marrenbach, „die goldenen Wasserhähne in dieser Suite! Die werden wir auch bald ersetzen. Goldene Wasserhähne? So stellt sich doch nur noch Lieschen Müller Luxus vor!“ Für Marrenbach bedeutet Luxus vor allem Authentizität. „Bei uns soll alles echt sein. Die Blumen und die Möbel, die Gemälde und die Teppiche. Alles muss zusammenpassen. Wir orientieren uns am 19. Jahrhundert, es gibt also keine Bauhaus-Stühle im Salon.“

Spricht man Marrenbach auf seine russischen Gäste an, schmunzelt er. „In Russland weiß man eben: Baden-Baden ist wieder eine attraktiver Urlaubsort für alle Altersklassen.“ Der 40-jährige Hotelier spricht vom „neuen Flair des Weltdorfes“, und seine Beobachtung trifft zu: Sowohl an der Kinderwagendichte auf den vielen neuen Spielplätzen im Kurpark als auch am jüngeren Publikum in Brenners Hotel lässt sich der Wandel ablesen. Was nicht heißt, dass man auf eine gewisse Etikette verzichten will. „Wir bitten die Herren, Jackett zu tragen“, heißt es in Brenners Park-Restaurant, womit sich der Dresscode durchaus gelockert hat. Vor einigen Jahren waren noch Anzug und Krawatte obligatorisch. Mit den alten Kleidervorschriften verschwand auch der große Speisesaal, was Nostalgiker bedauern, der Restauration aber zugute kam. Sternekoch Andreas Krolik bietet kunstvolle und gleichzeitig bodenständige Gerichte. Wem ein Menü zu viel ist, dem sei der „Pot au feu von Flusskrebsen, Erbsen und Wachteleiern im Blumenkohl-Schnittlauchsud“ empfohlen.

„Ballsaison und Festspielsaison. Fernsehtage und New Pop Festival. Da bleibt kaum Zeit, in den Urlaub zu fahren“

Von der Terrasse des Brenners blickt der Gast in den Kurpark, dessen uralte Baumriesen am Abend angestraht werden. Hier hört und sieht man die Oos, die leise plätschernd sich ihren Weg übers sorgfältig gepflasterte Flussbett sucht. Die Lage von Brenners Park-Hotel macht deutlich, wo das eigentliche Zentrum Baden-Badens liegt, nämlich in den Parkanlagen, die so vielseitig sind, dass die Reisezeit je nach Blumengeschmack sorgfältig geplant werden kann. Japanische Touristen, so mein Eindruck, bevorzugen die Krokuszeit, wenn sich der Rasen im Kurpark in eine hellblau-violettes Blütenmeer verwandelt. Fachkundige Floristen kommen im Juni, um die preisgekrönten Züchtungen beim Internationalen Wettbewerb der Rosenneuheiten zu bewundern. Wer durch Baden-Badens Parkanlagen schlendert, sieht auch das weiß glänzende Museum Frieder Burda. Zusammen mit der Staatlichen Kunsthalle locken die beiden Ausstellungshäuser jährlich mehr als hunderttausend Besucher nach Baden-Baden. Erstaunlich, dass der kleine Ort das verkraftet. Denn es gehört zur wahren Schönheit des Ortes, dass man selbst zur spätsommerlichen Hochsaison immer ein freies Plätzchen in den Parks findet.

Selbst die historischen Schwitzräume des Friedrichsbades sind selten überfüllt. In diesem Tempel der Thermalkultur wird römisch-irisch gebadet, eine Seifenbürstenmassage gehört dazu und ein abschließendes Nickerchen im Schlafsaal. „Wünsche angenehme Ruhe!“, flüstert die Mitarbeiterin des Friedrichsbades, nachdem sie den vom vielen Dampf erschöpften Gast in dünne Decken eingewickelt hat. So entspannt geht es in der benachbarten Caracalla-Therme nicht zu. Hier hat man sich auf Saunaspielereien mit allgegenwärtigem Wellnessklängen spezialisiert, was vor allem beim französischen Publikum gut ankommt.

Einen ordentlichen Kurbetrieb hat es in Baden-Baden trotz Heilquelle und Trinkhalle übrigens nie gegeben. Schon 1836 schrieb der russische Schriftsteller Nicolai Gogol: „Es gibt niemanden, der ernsthaft krank wäre. Alle kommen nur hierher, um sich zu amüsieren.“

Carsten Otte, 35, lebt als Schriftsteller und Rundfunkmoderator in Baden-Baden und Hannover. Zuletzt erschien im Frankfurter Eichborn Verlag sein Kurstadtroman „Sanfte Illusionen“.