die taz vor 13 jahren über das „soldaten sind mörder“-urteil des verfassungsgerichts
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„Soldaten sind Mörder.“ Lange wurden in der Bundesrepublik diejenigen verurteilt, die diese Parole schwangen. Es waren die Jahrzehnte, in denen die Chancen deutscher Soldaten, zu Mördern zu werden, ziemlich eingeschränkt blieben. Just in dem Moment, in dem die militärische Selbstbeschränkung nicht mehr zeitgemäß scheint, entfällt auch die juristische Sanktion der „Mörder“-Parole. Ein wirklich schöner, ein quasi liberaler Zufall. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes wirkt wie eine nachholende Anpassung der Rechtslage an die neuen Verhältnisse. Es erscheint angemessen, daß diejenigen, die künftige Auslandseinsätze deutscher Soldaten für politisch richtig halten, nicht qua juristischer Sanktion vor den härtesten, verbalen Attacken ihrer Gegner verschont bleiben. Das sagt nichts über den Wahrheitsgehalt der Parole. „Soldaten sind Mörder“, „Neger sind dumm“, „Männer sind Vergewaltiger“, die Struktur solcher Urteile ist immer die gleiche. Sie sind schwer erträglich, aber vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. In der Bestätigung dieses Grundrechtes liegt die Qualität des Karlsruher Beschlusses.

Volker Rühe indes ruft Skandal – und weiß warum. Wer die großflächigen Anzeigen der Bundeswehr vor Augen hat, mit denen ihre neuen auswärtigen Aufgaben ganz im Lichte der Säuglingspflege erscheinen, der ahnt etwas vom Grund des Rüheschen Entsetzens. Er sorgt sich um den Ruf der Bundeswehr. Denn die Parole „Soldaten sind Mörder“ ist die denkbar härteste These gegen die Verniedlichungskampagne, mit der die jahrzehntelange Pazifizierung des öffentlichen Bewußtseins unterlaufen werden soll. Rühe suggeriert, es gäbe den bruchlos-unblutigen Übergang von der Selbstbeschränkung zur neuen Herausforderungen. Die Wahrheit in der Übertreibung der „Mörder“-Parole liegt im Dementi dieser Suggestion. Brunnengraben, Blutvergießen. Beides liegt im Bereich der „neuen Verantwortung“ der Bundesrepublik. Matthias Geis, 22. 9. 1994