Ist Facebook böse?
JA

INTERNET Der Netzwerkriese sammelt immer mehr Informationen. Was und wie viel gespeichert wird, bleibt geheim. Datenschützer fordern Transparenz

Die sonntazfrage wird vorab online gestellt.

Immer am Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.

www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune

Paolo Cirio, 32, setzte Fotos und Daten von Facebook-Profilen auf eine Datingseite

Facebook wird nicht reguliert – das ist ein Problem. Wenn das Netzwerk ein Dienst für die Menschen sein soll, müsste es demokratisch umgestaltet werden. Die Nutzerinnen und Nutzer müssen über die Gefahren des sozialen Netzwerks informiert und geschult werden. Als Alessandro Ludovico und ich ein paar Daten für unser Kunstprojekt vom Facebook-Server „befreit“ haben, reagierte Facebook sehr aggressiv. Das zeigte uns, dass die Macher glauben, einen Anspruch auf die Daten ihrer User zu haben. Und es zeigt, wie Facebook Kritiker und Konkurrenten unterdrückt. Unsere Daten werden wir nie zurückbekommen, einen Missbrauch durch Dritte können wir nicht ausschließen – vor allem seit diverse Firmen unsere Informationen verwalten. Facebook huldigt auf elegante Weise der Vorstellung einer „Informationsgewalt“. In einer Zeit, in der Informationen über uns eine so wichtige Rolle spielen, ist Facebook zum interkontinentalen Waffensystem geworden. Das soziale Netzwerk ist nicht nur ein Apparat, mit dem Marketingtrends analysiert werden, sondern auch ein effektives Mittel, vermeintliche Kriminelle zu überwachen, politische Proteste zu kontrollieren oder sogar zu lenken. In vielen Ländern hat Facebook sogar Absprachen mit Politikern getroffen und ihnen den uneingeschränkten Zugriff auf bestimmte Facebook-Profile eingeräumt – und das ohne Gerichtsbeschluss. Das zieht grausame Konsequenzen nach und politische Unterdrückung mit sich, vor allem in Ländern, in denen derzeit die Demokratie schrumpft, wie in Italien.

Thomas Cloer, 46, ist Journalist bei der Computerwoche und bloggt auf teezeh.de

Natürlich ist Facebook nicht böse wie Damien, Cthulhu oder Pol Pot. Aber es will speziell mit seiner Ankündigung der kommenden „Timeline“-Profile und der OpenGraph-Apps, mit denen wir unsere Timelines befüllen sollen, immer mehr Daten über uns und unsere „Freunde“ sammeln. Primär, damit es noch gezielter Werbung servieren kann. Denn Facebook ist ein irgendwann börsennotierter Konzern und kein Wohltätigkeitsverein. Überdies ist Facebook ein „Walled Garden“ und widerspricht damit fundamental dem „One-Web“-Postulat des Web-Erfinders Sir Tim Berners-Lee. So einen Dienst möchte ich nicht zur zentralen Anlaufstelle meines Netzlebens machen. Deswegen habe ich nach der für mich schon ziemlich beängstigenden f8-Grundsatzrede von Mark Zuckerberg nach reiflicher Abwägung beantragt, dass mein Konto endgültig gelöscht wird. Auch wenn ich von nun an auf viele nützliche und schöne Aspekte von Facebook verzichten muss.

Kathrin Schürmann, 33, ist Anwältin für Urheber- und Medienrecht. Sie lebt in Berlin

Aus Sicht der Datenschützer? Ja! Bei all den positiven Aspekten, die Facebook seinen Nutzern sicher bietet, sollte man jedoch nicht vergessen, dass Facebook mittlerweile neben Google der größte „Sammler“ von überwiegend sehr persönlichen Daten geworden ist. Was mit diesen Daten passiert, ist unbekannt. Bereits in der Vergangenheit ist Facebook aufgrund kontinuierlicher Veränderungen seiner technischen Abläufe und unwirksamen Formulierungen in Datenschutzerklärungen und Nutzungsbedingungen in den Fokus der Datenschutzbehörden gerückt. Vor allem für die mutmaßliche Hauptnutzergruppe – Jugendliche – dürfte ein Durchblick im Dschungel technischer Privatsphäre-Einstellungen, bei denen nicht selten der Nutzer eine Sichtbarkeit seiner persönlichen Daten für die Öffentlichkeit erst einmal deaktivieren muss, kaum möglich sein. Hinzu kommt, dass es vielfach kein ausreichendes Bewusstsein für das Thema Datenschutz gibt. Am Ende ist daher bestimmt nicht nur Facebook gefragt, mehr Transparenz zu schaffen. Auch die Gesellschaft muss zu einem verantwortungswussten Umgang mit dem Medium Internet beitragen. Gegenüber Jugendlichen bedeutet das, Verantwortung zu übernehmen und diese im Umgang mit Medien zu schulen, da letztlich die Medienkompetenz der Schlüssel zur Privatsphäre ist.

NEIN

Miriam Meckel, 44, Professorin für Kommunikationsmanagement an der Uni St. Gallen

Gut oder böse – das sind moralische Kategorien, um sie geht es im Wettlauf der Internetgiganten um die digitale Zukunft gar nicht. Im Web gewinnt, wer sich erfolgreich breit und es uns einfach macht. Darin ist Facebook gut. Facebook ist nicht böse, sondern meint es zu gut mit uns. Die neue „Timeline“, die unsere bisherige Pinnwand ablösen wird, soll unser Leben von der Geburt bis zum Tod dokumentieren. Wollen wir das? Ich muss und möchte nicht jede meiner Aktivitäten im Netz verzeichnet wissen. Es gibt Dinge, die sind privat. Und Geheimnisse, die das Leben spannender machen. Apropos: Wir hatten mal ein Leben – jetzt haben wir einen Lifestream. Wir sind, was wir posten, werden zu unseren Facebook-Profilen. Was da nicht zu finden ist, gibt’s künftig nicht mehr. Wir könnten uns ausloggen. Tun wir aber nicht. Sie ist zu schön, um wahr zu sein, diese digitale Lebenslinie. Wir bestücken sie mit allem, was uns einfällt, und Facebook hilft uns dabei. Gut gemeint, oder?

Ilse Aigner, 47, ist Bundesministerin für Verbraucherschutz und CSU-Mitglied

Soziale Netzwerke sind eine großartige Errungenschaft. Sie erleichtern unsere Kommunikation. Mit wenigen Klicks kann man mit Freunden in Kontakt bleiben – zumindest virtuell. Bei Facebook sind mehr als 800 Millionen Menschen angemeldet. Längst ist das Netzwerk so etwas wie ein internationales Einwohnermeldeamt. Und genau da beginnt das Problem: Im Unterschied zu staatlichen Stellen ist der Datenschutz bei Facebook unzureichend. Grundsätzlich sollte sich jeder Nutzer genau überlegen, welche Informationen er ins Netz stellt. Das Internet vergisst nichts. Soziale Netzwerke sind auch nicht kostenlos. Im Gegenteil: Wir bezahlen mit unseren persönlichen Daten. Deshalb fordere ich einen besseren Schutz der persönlichen Daten, besonders für Kinder und Jugendliche. Und wir brauchen klare Löschungsrechte: Das Recht, selbst online gestellte Informationen zu löschen, muss gesetzlich verankert werden, am besten auf europäischer Ebene.

André Bremert, 23, ist Student und hat die sonntazfrage auf taz.de kommentiert

Es mag uns ja problematisch vorkommen, dass die Werbeindustrie leicht an vertrauliche Daten von uns kommt, aber man muss sich vor Augen halten, warum das so ist: Wenn die Werbeindustrie den Providern von Websites kein Geld für solche Daten zahlt, müssten sich diese Provider andere Einnahmequellen suchen. Letzten Endes hieße das wahrscheinlich, dass man jede Website einzeln abonnieren müsste, um sie zu nutzen. Somit sind unsere persönlichen Daten quasi unser Zahlungsmittel, um die Inhalte des Internets weiterhin „kostenlos“ – im Sinne von: ohne Geld zu zahlen – nutzen zu können. Ich persönlich zahle da lieber mit Daten über mich als mit Geld, denn diese scheinen denen ja mehr wert zu sein als das Geld, von dem ich nicht so viel habe. Und gegen Werbung gibt’s AdBlock im Browser und den Papiermüll neben dem Briefkasten.

Sascha Adamek, 43, ist Autor. Dieses Jahr veröffentlichte er das Buch „Die Facebook-Falle“

Was für eine katholische Frage, ob Facebook böse ist! Ist die Deutsche Bank böse, weil sie trotz Krisen Milliarden verdient? Facebook ist ein milliardenschwerer Konzern und das „Soziale“ am Netzwerk eine Legende, denn technikbekloppte Nerds und versierte Werbestrategen bestimmen hier weltweit, wie wir kommunizieren. Dass die Firma dazu neigt, bei ihr abgegebene Daten nie wieder herauszurücken, ist nichts Neues, aber seit dem Fall des Studenten Max Schrems Gewissheit. Von ihm gelöschte intime Nachrichten fanden sich nach Jahren noch auf Facebooks Servern. Alles mit allen zu teilen ist die herrschende Ideologie. Aber böse kann Facebook nicht sein, es ist ein Phänomen und eine Plage.