Verschachtelte Subjekte

Gleichberechtigtes Nebeneinander oder Verschmelzung noch im Fingerabdruck? Die Ausstellung „Para*site“ in der Galerie Nord untersucht die verschiedenen Möglichkeiten, wie sich das Individuum in der Gruppe positioniert

Seltsam geschrieben ist der Name „Para*site“ für eine Gruppenausstellung in der Galerie Nord. In griechisch-englischer Lesart meint das Wort so etwas wie „neben dem Schauplatz“. Genau um dieses räumliche und reflexive Verhältnis zum eigenen Status geht es den vier Künstlern Barbara Fries, Juro Grau, Katrin Schmidbauer und Hansjörg Schneider. Ihr Thema ist das Neben-, Mit- und Ineinander der vierköpfigen Künstlergruppe selbst, für das sie drei unterschiedliche räumliche Formulierungen gefunden haben.

Was passiert, wenn vier Künstler sich selbst beziehungsweise ihre Arbeit ausstellen wollen und diesen Versuch auch noch selbst zum Thema machen? Die Antwort stellt die herkömmliche Ordnung der Galerie auf den Kopf. Dies sieht man zuerst in der Umkehrung der Raumverhältnisse. Denn die Mitte der lang gestreckten dreiteiligen Ladenfront der Galerie orientiert sich nun zur Straße. Hier sind vier Dioramen eingebaut – man kennt diese Guckkästen aus dem Naturkundemuseum –, die im Innern der Galerie nur ihre roh gezimmerte Rückwand zeigen.

Auf der anderen, der Straßenseite der Dioramen, findet sich die Visualisierung eines der möglichen Verhältnisse innerhalb von Gruppen, nämlich das para*taktische, also gleichwertig verbundene Nebeneinander der einzelnen Mitglieder. Die unhierarchische Präsentationsform in den vier gleich großen Dioramen ist selbst schon eine Aussage über die egalitäre Organisation innerhalb der Gruppe. Obwohl alle vier sich auch innerhalb ihres Dioramas mit dem Thema Raum beschäftigen, behält jeder seine individuelle Handschrift: Bei Barbara Fries’ „Figur im Raum“ geht es explizit um die Perspektive. Man sieht eine gemalte Bogenschützin, die über horizontale Linien läuft. Der perspektivische Trick ist, dass diese Linien nur von einem auf der Straße markierten Punkt aus gesehen exakt parallel verlaufen. Hansjörg Schneider überzieht seinen Raum mit einem Koordinatenraster, dessen eingebaute Deformierung als Irritation des euklidischen Raums funktioniert. Katrin Schmidbauer geht es um den illusionistischen Raum, wie er im Medium des Dioramas bezweckt wird: Vor einem Landschaftspanorama verläuft ein Sprungbrett über einem blauen See aus Plastikfolie. Juro Grau hat in ihrem Diorama im Raum schwebende Gesichtsprofile platziert, die auf ein biomorphes Etwas starren, das ein Parasit sein könnte. Hier entsteht ein psychologischer Spannungsraum von neugieriger Anziehung und ängstlicher Abwehr gegenüber dem Unbekannten.

In den beiden anderen Teilen der Ausstellung wird aus dem Para*taktischen ein Miteinander: In der „Autorentapete“ verschmilzt das Individuellste des Menschen in einem einzigen Bild. Die wandfüllende Collage bringt die Daumenabdrücke der vier Künstler zusammen. Auch hier thematisieren die vier ihre Arbeit als Gruppe: verbunden durch die Kunst, aber individuell identifizierbar und als Gattungswesen Mensch vergleichbar.

Die letzte metaphorische Auseinandersetzung um die Gemeinsamkeit der Arbeit bildet eine ungefähr lebensgroße Matroschka-Puppe. Die zurechtgesägten MDF-Platten bilden eigentlich nur so etwas wie das Gerippe der folkloristischen Puppenform, die sich in sechs auseinandergenommenen Einzelteilen am Boden präsentiert. Das Ineinander der Formen ist aufgelöst und zerteilt in ein disparates sechsteiliges Arrangement. Die Arbeit zeigt anschaulich, wie die Künstler sich als Gruppe selbst sehen: nämlich als Individuen, die zu einer Einheit erst durch eine gedankliche Konstruktion werden können. Mit diesem Durchspielen der möglichen Beziehungen in einer Gruppe ist den vier Künstlern ein reflexives Meisterstück gelungen.

ROLAND BERG

Kunstverein Tiergarten, Galerie Nord, Turmstraße 75, bis 13. 10., Di.–Sa. 14 bis 19 Uhr