Präsidentin wittert ein Komplott

ARGENTINIEN Präsidentin Cristina Kirchner will den Geheimdienst auflösen. Sie sieht in dessen Machenschaften den Grund für den Tod des Sonderermittlers Alberto Nisman

Nisman erscheint als Schachfigur der Kämpfe in Geheimdienst und Regierung

AUS BUENOS AIRES JÜRGEN VOGT

Steckt hinter dem Tod des Staatsanwalts Alberto Nisman der argentinische Geheimdienst? Und ist der Tod Nismans, der als Sonderermittler den Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum Amia 1994 hatte aufklären sollen, eine geheimdienstliche Inszenierung und eine Botschaft an die Präsidentin? Hartnäckig halten sich dazu die Spekulationen, seit Nisman am 18. Januar mit einem tödlichen Kopfschuss im Badezimmer seiner Wohnung gefunden wurde. Selbst Präsidentin Cristina Kirchner scheint dieser Interpretation anzuhängen. Warum sonst reagiert sie mit der Auflösung des bisherigen Geheimdienstes auf den Tod des Staatsanwalts?

Montagabend trat die Präsidentin erstmals seit Nismans Tod vor die Öffentlichkeit. In einer Fernsehansprache machte sie in erster Linie den Geheimdienst für das Geschehen verantwortlich. Sie sprach von einer „Komplizenschaft“ der Geheimagenten mit Staatsanwälten und Journalisten, mit der sie ihre Regierung wiederholt attackiert und haltlose Anklagen und Beschuldigungen in die Welt gesetzt hätten. Als Konsequenz kündigte Kirchner die Auflösung des bisherigen Sekretariats für Geheimdienste und die Neubildung einer Bundesagentur für Geheimdienste an.

Die Präsidentin blieb dabei, dass sie das Opfer der ganzen Angelegenheit sei. Anstatt Nismans Familie zu kondolieren, griff sie einen seiner Mitarbeiter vor laufender Kamera namentlich an. Diego Lagomarsino sei ein „eisenharter“ Gegner ihrer Regierung, der mit der Oppositionspresse und deren juristischen Beratern zusammenarbeite.

Lagomarsino, der als Informatiker in Nismans Abteilung arbeitete, soll ihm verbotenerweise die Waffe gegeben haben, aus der später der tödliche Kopfschuss abgegeben wurde. Am Montag erstattete die Staatsanwaltschaft Anzeige gegen ihn.

Darüber, wie sie den gegenwärtigen Geheimdienst auflösen und so wieder zusammensetzen will, dass dabei mehr als eine Namensänderung herauskommt, macht Kirchner nur vage Angaben. Die beiden zukünftigen Leiter sollen von der Exekutive ernannt und dem Kongress unterstellt sein.

Seit dem Ende der Militärdiktatur 1983 hat es keine Reform der Geheimdienste gegeben. Nach Auffassung der Opposition spioniert der Dienst vor allem die politischen Gegner der jeweiligen Regierung aus – dies sei auch unter den Kirchners nicht anders. Einig sind sich Regierung und Opposition nur, dass der Geheimdienst schon lange ohne wirkliche Kontrolle agiere.

Kirchner hatte bereits Mitte Dezember die Spitze des Geheimdiensts ausgetauscht. Über Nacht wurde Antonio „Jaime“ Stiuso vor die Tür gesetzt, der jahrzehntelang als Kopf und Drahtzieher des Geheimdienstes galt. Über ihn wird gemunkelt, er habe über jede und jeden eine Akte. Bekannt ist, dass Nisman eng mit Stiuso zusammengearbeitet hatte. Nisman hatte Anzeige gegen die Präsidentin erstattet und ihr eine „kriminelle Verschwörung“ und das Ausmauscheln von Straffreiheit mit mutmaßlichen Terroristen im Fall des Amia-Anschlags vorgeworfen. Ob die Beweise, die Nisman dafür hatte vorlegen wollen, tatsächlich von Stiuso kommen, ist jedoch nicht bekannt,

Nach und nach erscheint Nisman als ein manipuliertes Opfer, eine Schachfigur im Machtkampf zwischen verfeindeten Fraktionen im Geheimdienst und der Regierung. Möglicherweise wurde ein Szenario aufgebaut, um der Präsidentin eine Botschaft zu überbringen: „Komm uns nicht zu nahe.“ Sollte dies tatsächlich zutreffen, dann könnten sich am Río de la Plata noch einige rätselhafte Zwischenfälle ereignen.