Braucht Ihr uns noch?

Die Musikmagazine haben ein Problem: Ihre Leser sind internetaffin und informieren sich im Netz. Zeit für neue Strategien. Die Frage ist: welche?

VON BENJAMIN IMORT

Musik, so die These von Visions, ist ein Kulturkampf. In der Septemberausgabe erfragte das Musikmagazin die Haltungen der Leser im „Kulturkampf Musik“: CD oder MP3? Plattenladen oder Onlineshop? Musikmagazin oder Blog? Die Debatte, die sich entwickelte, zeige, wie Visions-Chefredakteur Dennis Plauk sagt, dass es „da draußen großen Redebedarf“ gebe. Denn die Fragen, die Visions stellt, sind grundlegend für die Leser. Vor allem aber wichtig für die Magazine – die Frage hinter den Fragen lautet: Braucht ihr uns noch?

Die Musikmagazine mussten, über längere Zeit gesehen, Auflagenverluste einstecken. Musikexpress fiel von 100.000 auf 60.000, Rolling Stone bewegt sich in der gleichen Größenordnung, Visions verkaufte früher 50.000 Exemplare, jetzt rund 30.000, Spex lag mal bei 25.000, heute sind es 18.000. Die Gratiszeitschriften Intro und WOM sind mit über 135.000 beziehungsweise knapp 215.00 Exemplaren die auflagenstärksten. Warum Magazine kaufen, wenn eh alles im Netz steht?

Das Internet hat die Mediennutzung der Hörer verändert. Portale wie MySpace sorgen dafür, dass man selbst die Entdeckungen machen kann, für die früher die Magazine gebraucht wurden. Unzählige Blogs und E-Zines ziehen den Zeitschriften die Leser ab. Das Wettbewerbsumfeld der Musikkritik sei „viel härter als andere“, sagt Klaus Goldhammer, Gastprofessor für Ökonomie und Massenkommunikation an der FU Berlin. „Man muss sich dem Trend stellen.“ Und der Trend ist online.

Die Magazine können da weder durch Informationsvorsprung noch durch Kritikmonopol punkten – nur durch ihre Namen und bessere Konzepte. An denen feilen sie. Grundsätzlich verfolgen sie zwei Strategien: näher an den Leser heranrücken und die eigene Webpräsenz stärken. Nur so, sagt der Medienökonom Armin Rott, könnten sie auf die Fragmentierung der Musikgenres angemessen reagieren.

Visions.de fährt mit einem nur für Leser des Hefts geöffneten Premiumbereich recht gut und freut sich über monatlich drei Millionen Seitenaufrufe. Musikexpress.de, Ableger des Heft-Marktführers, dümpelt bei 626.000 Klicks. Rollingstone.de liegt mit 5,7 Millionen Klicks vorn. Zahlen, die Rainer Henze vom Musikkanal laut.de – seit jeher ein Onlineportal und daher von der Krise nicht betroffen – allerdings keine Angst machen. Die Magazine „verstehen das Medium alle nicht“, sagt er, und man hört ihn förmlich ins Telefon grinsen – laut.de hat zehn Millionen Klicks im Monat.

Medienökonom Rott glaubt aber, dass es noch nicht zu spät sei, auch die Magazinmarken im Netz zu etablieren – nur dürften sie sich nicht auf ihre Strahlkraft verlassen, die sie für ältere Generationen hatten. Zumal die Veränderungen, die das Internet erfordert, die Printprodukte beflügeln können. Die Spex etwa hat nach dem Relaunch vom letzten Jahr das Genre der aktuellen Plattenkritik stärker ins Netz verlagert und konzentriert sich im gedruckten Heft auf weniger von Veröffentlichungsterminen getriebene, hintergründigere Berichterstattung. Das ist bei Lesern umstritten – aber in Zahlen betrachtet funktioniert es.

Auch Visions hat für Netz und Printausgabe einander ergänzende Konzepte entwickelt. Online ist visions.de eher ein Nachrichtendienst, das E-Paper „Visions-Weekly“ dient als Bindeglied zwischen Onlineauftritt und Heft. Im Heft, heißt es, wolle man lieber „wenig gut als vieles nur halb“ machen. „Es darf kein Entweder-oder geben“, sagt Chefredakteur Dennis Plauk. Zumal die Hatz ins Netz auch nicht bei allen Lesern auf Gegenliebe trifft. Im Visions-Internetforum kulturkampf-musik.de etwa besteht ein User auf den Vorzügen des Papiers: „egal ob im Park, inna Bahn oder beim Kacken“