Nach dem Festival ist vor dem nächsten

TANZ Mit „eigenARTig“, dem integrativen Tanz-Festival, hat Bremen nahezu ein Alleinstellungsmerkmal. Und mit „Helden“ eine verbesserungsfähig hoffnungsvolle Produktion mit erzählerischen Qualitäten

Grabskis Fuß, der mit lässiger Präzision auf den Boden klatscht, setzt Impulse

Die Superman-Unterhose knallt den Zuschauern ins Gesicht, optisch, sie ist der erste starke Farbakzent dieser Inszenierung. „Helden“ heißt sie, bringt Armin Biermanns Hintern vorteilhaft zur Geltung und beschloss Sonntag Abend in der Schwankhalle das „eigenARTig“-Festival – eines der ganzen wenigen deutschen Tanzfestivals, bei dem Behinderte und anderweitig einzigartige Menschen gemeinsam auf der Bühne stehen. Oder sitzen, liegen und rollen.

Frank Grabski, bekannt aus zahlreichen Blaumeier- und Tanzbar-Produktionen, springt auf seinem Bein ganz nah an Biermann heran, der einen sich selbst als ausgesprochen heldenhaft empfindenden Fernseh-Talker spielt. Doch Grabski bringt ihn nachhaltig aus der Fassung – denn dass die Gäste nicht Objekte zur Ausstaffierung seiner Show mit vorgenormten Charaktermasken sind, sondern eigenständig handelnde Individual-Helden – das war so nicht geplant. „Helden“ thematisiert die mediale Ikonisierung ebenso wie die Selbstüberhöhungs-Sehnsüchte, die in wohl jedem schlummern.

Mit „Helden“ steuert die Bremer Tanzbar-Kompagnie das bei weitem erzählerischste Stück im Reigen der „eigenARTig“-Produktionen bei. Wie schon vor zwei Jahren, bei der ersten Ausgabe des Festivals. Laura Jones von „Stopgap“, die mit 16 Jahren zu den ältesten Kompanien der jungen integrativen Tanzszene gehört, formulierte dort: „Wir sind erst am Ziel, wenn wir auch schlechte Kritiken bekommen.“ – Erst dann sei sicher, dass man allein nach künstlerischen Kriterien beurteilt werde.

Vielleicht funktioniert das ja auch mit einer gemischten Kritik: Denn nach dem starken Einstieg der „Helden“ verliert die zweite Hälfte der Produktion deutlich an Stringenz. Zwar sind die tänzerisch hervorragend persiflierten Showgirls (Corinna Mindt und Jenny Ecke), die das Geschehen durch ihre Synchron-Einlagen rhythmisieren, ein Augenschmaus – unterm Strich jedoch gerät die Inszenierung zunehmend zu einer Abfolge von Sequenzen, statt starke dramaturgische Bögen zu bauen. Ein entspanntes Ende, dem mitnichten endlose Spannung vorausging, bringt das Prinzip der Reihung zum Abschluss – dem auch die repetitiv-fragmentarisierte Musik in diesem Teil der Produktion entspricht.

Steckt also doch ein konsistentes Konzept dahinter? Die vielen spielerisch-spannenden Bilder, die der Hannoveraner Gastchoreograf Felix Landerer vor allem zu Anfang findet, sprechen eine erfrischend andere Sprache. Wieder setzt Grabski einen entscheidenden Impuls, wenn sein Fuß mit lässiger Präzision auf den Bühnenboden klatscht – es ist die Geräusch gewordene Verweigerung beziehungsweise Minimal-Dosierung des Applauses, die dem Moderations-Helden den Daseinsgrund entzieht. Insofern: schon ein starkes, aber straffungsbedürftiges Stück. Im Vergleich zu „Hüben“, der vorhergehenden Tanzbar-Festival-Produktion, vor allem in tänzerischer Hinsicht ein deutlicher Zugewinn, als Abschluss von „eigenARTig“ ein klares Statement: In zwei Jahren muss das finanziell stark gefährdete Festival wieder stattfinden – schon um das stetige Füllen der nach oben hin vorhandenen Luft mitvollziehen zu können. HENNING BLEYL