ZU DEN FOTOS IN DIESER LITERATURBEILAGE: Heimatkunde – Von Migrationsgeschichten, Baumlabyrinthen und romantischen Mythen
Dunkle Wälder. Migranten, die erzählen, wie sie deutsch wurden – und Fotografien, die das in Szene setzen. Pflanzen, die aus deutschem Boden wachsen. Wohnzimmer, die leicht biedermeierlich wie ein Museum aussehen. Der Tiergarten in Berlin, seltsam ins Verklärte verrückt. Ein leerer Wartesaal, in dem zwischen zwei Türen eine elektronische Ziffer aufblinkt.
Wir bebildern die Literaturbeilage mit Bildern und Kunstwerken, die gerade in der Ausstellung „Heimatkunde“ im Jüdischen Museum Berlin zu sehen sind. Sie passt gut zu dem Herkunfts-Thema, das in diesem Herbst so viele Romane umspielen: weil Herkunft und Heimat natürlich längst nicht mehr deckungsgleich sind – genauer: nur in vorliberalen Zeiten als deckungsgleich behauptet wurden –, aber doch miteinander verschränkt sind, in aller Komplexität von politischer, gesellschaftlicher, religiöser, wirtschaftlicher, kultureller und privater Heimat und Herkunft aufeinander bezogen; und weil uns, schlicht auch das, gut gefallen hat, zu welch vielfältigen Lösungen die künstlerische Reflexion über Heimat in dieser Ausstellung führt.
„Heimatkunde – 30 Künstler blicken auf Deutschland“ ist die Ausstellung im ganzen betitelt, man kann sie gut als Standortbestimmung verstehen. Heimatgefühle und Nationalbewusstsein werden kritisch von Künstlern beleuchtet, die aus dem Ausland stammen, entweder hier aufgewachsen sind oder zumindest eine kurze Zeit in Deutschland verbracht haben. Es geht den Kuratorinnen um den subjektiven, ästhetischen, nicht um einen soziologischen Blickwinkel.
Die Ausstellung ist in die vier thematischen Bereiche gegliedert: „Erfahrungen mit der Migration“, „Religion und Identität“, „kollektives Gedächtnis und Familiengeschichte“ sowie „Nationale Mythen der Deutschen“.
Ein paar Einblicke: Im ersten Raum zeigt der im Iran geborene und in Berlin lebende Fotograf Maziar Moradi seine Bilderreihe „Ich werde deutsch“. Er hat sich Migrationsgeschichten erzählen lassen und diese in hoch stilisierte Momentaufnahmen destilliert, die die Geschichte selbst nicht mehr preisgeben.
Unbewusste Ebenen der persönlichen Erinnerungskultur bearbeitet Maya Zack mit ihren „Living Room“-Bildern: verschwommenen, schwarz-weißen Aufnahmen von Wohnzimmern, die räumliche Tiefe und zugleich bildliche Schärfe erst bekommen, wenn der Betrachter eine 3-D-Brille aufsetzt. In auffällig vielen Objekten steht der deutsche Wald im Mittelpunkt: Lilli Engel & Raffel Rheinsberg haben raumgroß „Die Naturkunstzelle“ aufgebaut, ein Baumlabyrinth, das von innen wie ein dichter Wald, von außen wie eine ordentliche deutsche Hecke wirkt. Einen Raum weiter hängen Landschaftsaufnahmen des israelischen Malers Eldar Faber. Auch hier ist der deutsche Wald eine optische Täuschung, denn bei näherer Betrachtung erkennt man verschiedene Berliner Parks. Julian Rosefeldts Filminstallation „Meine Heimat ist ein düsteres wolkenverhangenes Land“ hingegen widmet sich dem kulturgeschichtlichen Topos des Waldes. Er fragt nach der Bedeutung von Kultur, Mythos und Gesellschaft im deutschen Naturbegriff. Gerade im letzten Jahrzehnt, in dem Umweltschutz in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen ist, wird der Naturbegriff wieder deutlicher verhandelt. Das zeigt sich auch in den ausgestellten Objekten, in denen die aktuellen Auseinandersetzungen genauso eine große Rolle spielen wie der diffuse romantische Mythos der Vergangenheit.
Die Ausstellung ist noch bis zum 29. Januar 2012 im Jüdischen Museum Berlin zu sehen. Noch ein Hinweis: Vom 24. bis 30. Oktober 2011 feiert das Museum seinen zehnten Geburtstag. Vorher gratulieren soll man nicht. Aber man kann schon mal sagen, dass es ein Festprogramm geben wird mit Konzert, Themenführungen, Lesungen und Familienbrunch. NINA SCHOLZ/drk
Infos unter www.jmberlin.de
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