Ungereimter Volksentscheid

Abstimmungsunterlagen für Volksentscheid nicht ordnungsgemäß und rechtzeitig verschickt: Initiative „Mehr Demokratie“ spricht von Schlamperei und erwägt, das Referendum anzufechten

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Der Volksentscheid „Hamburg stärkt den Volksentscheid“ wird möglicherweise angefochten – von den Initiatoren selbst: „Es gäbe mehrere gute Gründe dafür“, stellten gestern Angelika Gardiner und Manfred Brandt von „Mehr Demokratie“ auf einer Pressekonferenz klar.

Zum einen hätten noch immer nicht alle Haushalte die Unterlagen für die Briefwahl erhalten. „Bis zu 100 Anrufe“ liefen deshalb täglich ein, berichtet „Mehr Demokratie“-Mitarbeiter Gregor Hackmack. Mehrere Briefträger hätten erzählt, ihnen sei gesagt worden, es habe mit der Zustellung keine Eile. Ralf Kunz vom Landeswahlamt bestätigte auf Anfrage der taz, er habe von Postämtern gehört, „wo noch ganze Säcke mit den Unterlagen herumgelegen haben sollen“. Gestern aber seien „alle Briefe raus und zugestellt“ worden.

Vorgeschrieben ist jedoch die Zustellung bis spätestens drei Wochen vor dem Abstimmungstag am Sonntag, 14. Oktober, zitiert Hackmack aus dem Abstimmungsgesetz. „Bis vorigen Montag also hätten die Unterlagen in allen Briefkästen sein müssen“, sagt Brandt. Das sei ein Grund, das Ergebnis anzufechten – zumindest, wenn dieses der Initiative nicht passt.

607.468 Ja-Stimmen werden benötigt, um die Verbindlichkeit von Volksentscheiden in der Hamburger Verfassung festzuschreiben. Wenn dieses Ergebnis von 50 Prozent der Wahlberechtigten erreicht wird, wären die Unregelmäßigkeiten zu vernachlässigen. Bis Mittwochabend waren 128.963 Briefabstimmungen in den Bezirksämtern registriert worden. „In nur drei Tagen“, freut sich Gardiner. Sie sei „sehr optimistisch“, die notwendigen Voten zu erreichen.

Der Gesetzestext, über den abgestimmt wird, sei indes nicht mitversandt worden, moniert die Initiative. „Das geht nicht“, sagt Brandt, „die Menschen müssen doch wissen, worüber sie abstimmen.“ Deshalb hat die Ini das Landeswahlamt aufgefordert, mit neuen Briefen oder Amtlichen Bekanntmachungen in Zeitungen den Gesetzestext öffentlich zu machen. Darauf aber gebe es „keinen Rechtsanspruch“, erklärt Kunz. Interessierte könnten den Text von den Bezirksämtern erhalten oder aus dem Internet herunterladen.

Bekannt wurde gestern zudem, dass mit einem Ergebnis des Volksentscheides erst gut zwei Wochen nach der Abstimmung zu rechnen ist. Am 14. Oktober würden nur die Stimmen in den 201 Wahllokalen ausgezählt. Die Auszählung der Briefwahlstimmen durch „private Dienstleister“ beginne erst am 15. und werde etliche Tage dauern. „Der Senat wird das Ergebnis auf seiner Sitzung am 30. Oktober feststellen“, so das Landeswahlamt. Volksentscheide seien eben von der CDU-Mehrheit „zu Abstimmungen zweiter Klasse gemacht worden“, sagt Brandt.

Darüber stritt am Nachmittag die Bürgerschaft: Die CDU versuche, „mit einem üblen Gebräu aus Halbwahrheiten und Demagogie öffentliche Meinungsbildung zu manipulieren“, ereiferte sich SPD-Verfassungspolitiker Andreas Dressel. Denn in dem Erläuterungsheft zum Volksentscheid wird vor „Drahtziehern“ gewarnt und gefragt: „Wollen Sie, dass 17,5 Prozent die Gymnasien abschaffen können?“ Das seien nachweislich falsche Behauptungen, sagte Dressel.

Den Volksentscheid habe die Union selbst provoziert, sagte GAL-Fraktionsvize Christian Maaß, indem sie die Referenden zum Nicht-Verkauf des LBK und zum Wahlrecht missachtet habe. Nun müssten „die Regeln politischen Anstands verbindlich gemacht werden“.

„Moralische Überheblichkeit“ warf dann Bürgermeister Ole von Beust (CDU) der Opposition vor. Die Kernfrage sei, „wer das letzte Wort“ habe. Und seine Überzeugung sei, das müsse „das Parlament“ sein, sonst drohe eine „Über-Demokratisierung“. Diese Auffassung sei „vielleicht nicht populär“. Doch wer „Verantwortung trägt, der muss nicht den populären, sondern den richtigen Weg gehen“.

Infos und Gesetzestext: www.wahlen-hamburg.de, www.mehr-demokratie-hamburg.de