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Jägerin mit grüner Robe

POP MEETS KLASSIK Tori Amos gab ein Konzert im Tempodrom, auf dem eher wenig von ihrem hochinteressanten Album „Night of Hunters“ zu hören war

Chopin hätte sich gewundert, dass sich seine „Nocturne Nr. 9“ auch singen lässt

Eine Robe in Meerjungfrauengrün umflattert die Künstlerin beim Betreten der Bühne. Tori Amos ist in Berlin, der mittlerweile neunten Station ihrer aktuellen Tour, die drei Monate dauern und in drei Kontinente führen wird. Man konnte gespannt sein, denn Amos’ neues Album „Night of Hunters“ ist ein recht wundersames Ding. Die Idee dazu stammt nicht einmal von der Musikerin selbst, sondern von der Deutschen Grammophon, die bekanntermaßen keineswegs ein Poplabel ist. Ob sie nicht Lust habe, auf der Grundlage von Stücken klassischer Komponisten eigene Songs zu kreieren, war bei Amos angefragt worden – und zunächst skeptisch gewesen.

Diese Haltung lässt sich nachvollziehen auf einer Doku-DVD, die dem Album beigegeben ist. Darin sieht man die Musikerin zusammen mit dem Produzenten auf einem Sofa sitzen, und gerade als er zu sprechen anhebt über musikalische Variationen in der Musikgeschichte, unterbricht sie seinen Redebeitrag recht ungezogen, indem sie ihre Knie noch ein bisschen höher zieht. Eingehend ihre Highheels betrachtend, bemerkt sie, die roten Sohlen an diesen Schuhen gefielen ihr besonders gut.

Frau Amos zieht die Praxis der Theorie vor, mag das heißen. Und wer sie am Konzertabend im Tempodrom erlebt, könnte fast denken, dass sie auch an die Praxis dieses kühn erdachten Konzeptalbums selbst noch nicht so recht glaubt. Denn an diesem Abend des doch „Night-of-Hunters-Tour“ genannten Gastspiels bringt sie lediglich eine kleine Handvoll der neuen Songs, dafür aber, zur Freude der anwesenden Fans, die fünfzig Euro aufwärts für eine Karte hingeblättert haben, eine richtig große Handvoll alter Hits.

Sie scheint sich wohl dabei zu fühlen, die Stimmung ist gut, die Leute fressen ihr aus der Hand. Und doch ist es merkwürdig. Denn als sie mit einem Streichquartett die Bühne entert und den Abend beginnt mit dem ersten Titel des neuen Albums, „Shattering“, inspiriert von einem Stück des französischen Romantikers Charles-Valentin Alkan, ist es ein fast physischer Schock zu erleben, welche performative Kraft in diesem Titel steckt. „That is not my blood on the bedroom floor“ ist ein toller erster Satz für ein Konzert, denkt man noch, um dann zu erleben, wie die Künstlerin das beginnende Drama, als welches das Album konzipiert ist, glatt abbricht, um Stück für Stück gut Abgehangenes zur Darbietung zu bringen. Na gut. Auch gut.

Aber das etwas Verrückte ist, dass man dabei hören kann: Die neuen Sachen sind einfach besser. Jedes Mal, wenn Amos doch noch mal ein „Hunters“-Stück spendiert, horcht man unwillkürlich auf, angesprochen durch – ja, wodurch? Durch eine unerwartete musikalische Wendung, die Instrumentierung, die intensive Düsterkeit der Texte? In der Intensität des Vortrags – und Tori Amos ist eine großartige, unglaublich präsente Performerin – macht sie keinen Unterschied zwischen alten und neuen Stücken. Und die musikalische Differenziertheit des „Hunters“-Materials entfaltet live erst ihre ganze Kraft.

Tori Amos, die sich in der Vergangenheit auch mit eigenwilligen Coverversionen von Rocktiteln einen Namen gemacht hat – etwa einer hinreißenden Mädchen-am-Klavier-Variante von Nirvanas „Smells like Teen Spirit“ –, ist ein wahres Adaptionsgenie. Ihre Unbefangenheit im Umgang mit Fremdmaterial zeigt sich im „Hunters“-Fall als extrem produktiv. Chopin hätte sich sicher gewundert, dass sich seine „Nocturne Nr. 9“ auch singen lässt. Modest Mussorgsky hätte sich vielleicht entrüstet gezeigt, dass ein Stück seines Zyklus „Bilder einer Ausstellung“ zur instrumentalen Begleitstimme in einem Popsong wird. Und, Gipfel der Kühnheit, Amos schreckt nicht einmal vor dem beherzten Zugriff auf Vater Bach zurück.

Eine schlichte instrumentale Klavier-und-Klarinette-Variation auf sein „Präludium in c-Moll“ bringt sie zum Schluss des Konzertabends noch mit dem Klarinettisten Andreas Ortensamer. Das hätte wirklich wunderschön sein können, wenn nur jemand daran gedacht hätte, das delikate Blasinstrument richtig auszusteuern. KATHARINA GRANZIN

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