die taz vor 18 jahren über die haltung der konservativen zur ddr-opposition
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Der DDR-Opposition ist abrupt eine Unterstützerfront zur Seite getreten, deren Tritte sie sicher noch zu spüren bekommt. CDU/CSU-Politiker erweisen sich plötzlich als frenetische Freunde innerer Reformen der DDR und gehen folgerichtig auf Distanz zur Wiedervereinigungsthematik. Dregger träumt vom „runden Tisch“, an dem SED und Opposition sich schleunigst begeben müßten. Bayernchef Streibl wünscht sich eine reformierte DDR, in die dann auch die Flüchtlinge zurückkehren könnten. Ist es der geheime Traum des CSU-Politikers, endlich einen funktionierenden selbständigen Staat jenseits der Elbe zu haben? Deutschlandpolitischer Tonartwechsel bei den Christdemokraten? Gewiß ist eine – sagen wir – revanchistische Ungeduld bei den selbstlosen christdemokratischen Freunden des DDR-Dialogs nicht zu überhören. Trotzdem, es wäre falsch, diese neuen Töne bloß als Variation des alten Antikommunismus abzutun. Es spricht einiges dafür, daß die CDU/CSU ihre deutschlandpolitische Position überprüft, weil sie sie überprüfen muß. Die Flüchtlingswelle und das Anmelden einer Opposition in der DDR kann nicht lediglich als eine Krise der DDR begriffen werden. Diese Krise steht vielmehr in Zusammenhang mit den Demokratisierungsprozessen in Osteuropa. Die Karten werden neu verteilt. Wer die Krise der DDR nur als Anlaß nimmt, alte deutschlandpolitische Maximen wieder aufleben zu lassen, gerät in die Gefahr, gleich aus dem Spiel zu fliegen. Die Wiedervereinigungsrhetoriker hatten unübersehbar die Flüchtlingswelle benutzt, um die alten Auseinandersetzungen um die Ostpolitik noch nachträglich zu gewinnen. Die Gründung des „neuen Forums“ in der DDR hat nicht zuletzt dieses deutschlandpolitische Nachkarten gebannt. Deutschlandpolitik ist nicht mehr machbar, ohne daß die DDR-Opposition einbezogen wird. Wer von Wiedervereinigung redet, fällt logischerweise als Gesprächspartner der Reformkräfte aus.

Klaus Hartung, 28. 9. 1989