„Wer hätte das gedacht“

Als der Frauenfußball in Deutschland noch nicht zugelassen ist, trainieren 1969 bei Tennis Borussia Berlin bereits die ersten Spielerinnen. Ihr Trainer ist der spätere Schlagerproduzent Jack White

Schon zu einer Zeit, als der Frauenfußball offiziell noch verboten war, wurden die ersten Länderspiele durchgeführt. Die wurden zumeist privat organisiert. Am 31. Oktober 1957 fand in Berlin ein erstes inoffizielles Länderspiel der Frauen statt. Deutschland besiegte dabei die Niederlande vor 4.000 Zuschauern im Mommsenstadion mit 2:0. Im selben Jahr richtete ein vom Deutschen Fußballbund (DFB) nicht anerkannter und regelrecht bekämpfter Verband, die „International Ladies Football Association“ in Berlin eine Europameisterschaft aus. Teilnehmer waren neben Deutschland die Teams aus England, Österreich und den Niederlanden. Das Zuschauerinteresse war jedoch so gering, dass die Veranstalter etliche Rechnungen nicht bezahlen konnten. Frauenfußball wurde erst im Oktober 1970 vom DFB legalisiert. TAZ, DPA

VON MARTIN KRAUSS

„Jack war ein guter Trainer“, erinnert sich Rita Cygon, „der war kompetent und wusste, was er wollte.“ Auch Barbara Streuffert, von allen nur „Charly“ gerufen, erinnert sich gern an den ersten Trainer ihrer Fußballkarriere: „Es war ja nicht einfach, Frauen zu trainieren, aber Jack hat das sehr gut gemacht, mit sehr viel Einfühlungsvermögen.“

Streuffert und Cygon spielten ab 1969 beim Berliner Klub Tennis Borussia Fußball, und der, den sie so sehr loben, ist Jack White, Schlagerproduzent, Plattenmillionär und: Pionier des Frauenfußballs in Deutschland. Der gibt das Lob gern zurück. „Das war ja auch eine tolle Truppe“, sagt White. „Zweimal sind wir Berliner Meister geworden.“

Ende der Sechzigerjahre ging es in Deutschland los mit dem Frauenfußball. In Frankfurt am Main gründete sich 1968 aus einem Schützenverein heraus ein Team, das sich den Namen „Oberst Schiel“ gab, und in Berlin bei Tennis Borussia sagten im Anschluss an ein Prominentenspiel die Frauen der Promis, dass sie das auch können. „Der Jack White hatte da zusammen mit Hänschen Rosenthal und Wolfgang Grunert gespielt“, erinnert sich Charly Streuffert. „Jack sagte: ‚Wenn ihr euch zu einer Gruppe zusammenfindet, bin ich bereit, euch zu trainieren.‘ “

Am 28. September 1969 begann bei TeBe der Frauenfußball, ein Jahr, bevor der Deutsche Fußballbund (DFB) den Sport endlich erlaubte. „Ich war ja völlig entsetzt“, berichtete Streuffert von ihrem ersten Training. „Der Jack White hat da so was wie ‚Der-Plumpsack geht um‘ veranstaltet. Ich hatte mir Fußballtraining ganz anders vorgestellt.“ Aber Jack White hatte Ahnung vom Fußball. „Damals spielte ich in der Verbandsliga, das war die erste Amateurmannschaft von TeBe, also die sogenannte zweite Mannschaft“, sagt er. „Ich war ja Exprofi, da hat es für die Verbandsliga allemal gereicht.“ Unter seinem bürgerlichen Namen Horst Nußbaum war White von Hennes Weisweiler entdeckt worden: Zunächst kickte er als Profi bei Viktoria Köln, dann beim FK Pirmasens und später in der ersten niederländischen Liga beim PSV Eindhoven.

„Horst Nußbaum sagte damals niemand“, erinnert sich Charly Streuffert, „wir sagten immer nur Jack.“ Denn es war immer weniger der Exprofi Nußbaum, der die Frauen coachte, sondern immer mehr der Schlagerproduzent White. „Da standen oft Lena Valaitis, Tony Marschall und solche Leute am Spielfeldrand rum, die hatten danach einen Termin mit Jack White“, berichtet die Exspielerin Rita Cygon, und Charly Streuffert ergänzt: „Die Promis, die am Trainingsplatz auftauchten, die hat der Jack White hergelotst, damit die uns sehen.“

Die deutsche Schlagerprominenz bekam auf dem Nebenplatz des Berliner Mommsenstadions eine kleine Kulturrevolution zu sehen. Die Kickerinnen verstießen nämlich gegen das vom DFB 1955 verkündete Verbot. „Ganz viele Frauen wollten Fußball spielen und mussten dann zum Handball oder zur Leichtathletik“, sagt Gabriele Wahnschaffe, in den Siebzigern Spielerin und heute Abteilungsleiterin bei TeBe. „1969 stand bei uns in der Zeitung, dass der DFB bald grünes Licht geben wird und dass TeBe eine Mannschaft aufstellt“, sagt Charly Streuffert, „da bin ich hin und habe mich angemeldet.“

Mit Whites Berühmtheit war es damals noch nicht so weit her. „Das war ja meine Anfangszeit in Berlin“, sagt er. „1968 fing ich an zu produzieren, 1969 gewann ich mit ‚Heute so, morgen so‘ mit Roberto Blanco die Deutschen Schlagerfestspiele.“ Aber den Lebensunterhalt verdiente sich White anders. „Ich hatte damals in Berlin meine Diskothek, und die frische Luft beim Fußball war da eine gute Abwechslung.“ Als White seine Tätigkeiten miteinander verknüpfen wollte, klappte das nicht. „Er hat versucht, dass ich mal im ZDF mit meiner Gitarre auftrete. Das Hotelzimmer war gebucht, die Reise organisiert, aber im letzten Moment wurde das abgeblasen. Da kam per Telegramm die Absage“, erinnert sich Streuffert. „Jack White war damals bei denen noch nicht so bekannt. Das war 1972 oder ’73.“

Zwei Jahre später, als Jack White berühmter war und sich aus Zeitgründen vom Trainerjob zurückgezogen hatte, versuchte es Streuffert noch einmal. „Jack hatte ja 1974 mit der Nationalmannschaft ‚Fußball ist unser Leben‘ aufgenommen“, sagt sie. „Da habe ich ein Lied für den Frauenfußball gemacht.“ Darin heißt es: „Wir Frauen spielen Fußball / Wer hätte das gedacht / Wir fummeln durch die Reihen / Das ist ’ne wahre Pracht.“ Zweimal wurde Streufferts Song vorgetragen, zuletzt 1976 beim DFB-Bankett, nachdem TeBe das Finale um die Deutsche Meisterschaft gegen Bayern München verloren hatte. „Auch im Radio ist es gelaufen“, sagt sie. „Ich habe sogar paar Mark Gema-Gebühren bekommen.“

Die Erfolge der deutschen Frauen bei der WM in China hat Jack White kommen sehen, sagt er. „Wenn ich die deutsche Nationalmannschaft sehe, muss ich sagen: Es ist erstaunlich, wie die sich entwickelt haben. Aber man hat das damals schon gesehen: Die hatten Talent.“