Im tückischen Hochmoor

Das Naturschutzgebiet am Ewigen Meer war lange Zeit die ärmste Region Deutschlands. Dort, wo früher Torf gestochen wurde, erzählt ein Museum beim ostfriesischen Dorf Eversmeer die Geschichte des Moores und der Region. Ein Rundgang um den urwüchsigen Hochmoorsee

Die Kinder wurden als „Moordorfer Schweinspack“ angesprochen

VON FALKO VON AMELN

Morgens um neun Uhr liegt noch der Frühnebel über dem Moor. Während sich wenige Kilometer weiter eine träge Blechschlange in Richtung der Strände von Norddeich und Norderney schiebt, huschen hier die Eidechsen, durch die unerwarteten Besucher aufgeschreckt, von den nebelfeuchten Holzbohlen. Das Ewige Meer, der größte Hochmoorsee Deutschlands, ist Naturschutzgebiet. Allerlei Vögel, Insekten und Amphibien tummeln sich in der feuchten Moorlandschaft – nur Fische gibt es keine im sauren Milieu des Ewigen Meeres, in dem sich allenfalls Bakterien und Kleinstlebewesen wohlfühlen. Knapp 2 Kilometer lang ist der Rundweg, der am Parkplatz in der kleinen Ortschaft Eversmeer beginnt. Infotafeln am Wegesrand. Fragen zur Entstehung des Moores, zur Tier- und Pflanzenwelt, zur Geschichte der Torfgewinnung und deren ökologischen Folgen machen Kinder und Erwachsene neugierig auf die Antworten, die sich hinter Klapptürchen verstecken.

In seiner urwüchsigen Schönheit wirkt das Moorgebiet um das Ewige Meer wie ein Fremdkörper in der intensiv bewirtschafteten Kulturlandschaft zwischen Aurich, Emden und dem Meer. Doch es ist nicht einmal 200 Jahre her, dass es in weiten Teilen Ostfrieslands so aussah wie hier am Ewigen Meer. Hinter den Küsten erstreckten sich wilde, menschenleere und unzugängliche Moorgebiete, durchzogen nur von wenigen einsamen Postpfaden. Wer sich in den umliegenden Dörfern etwas zuschulden kommen ließ, wurde ins Moor gejagt und verschwand für immer in einem der tückischen Moorlöcher. Nur langsam und unter großen Mühen eroberte der Mensch die friesischen Hochmoore, und noch bis ins 20. Jahrhundert lebte man hier unter Bedingungen, die im übrigen Deutschland kaum vorstellbar waren.

Wo früher die Kolonisten Torf stachen, steht das Moordorfer Moormuseum. Christine Günnel, die für den Museumsverein arbeitet, beginnt ihren Rundgang über das große Freilichtareal an einem dreieckigen, mit Gras bewachsenen Verschlag. Ein Kaninchenstall, eine Art Werkzeugschuppen, ein Unterschlupf für den Fall, dass man von einem Regenguss überrascht wird? „In solchen aus Zweigen und Moos erbauten Plackenhütten haben die ersten Moorkolonisten gewohnt, oft mit einer vierköpfigen Familie“, erläutert Frau Günnel. „Im Winter wurde es hier eiskalt, es gab kaum etwas zu essen und nur brackiges Moorwasser zu trinken.“ Friedrich der Große hatte 1765 beschlossen, das Moor urbar zu machen. Den Siedlern wurde versprochen, dass der preußische Staat einen Entwässerungskanal bauen würde. Nach mehreren harten Wintern wurde klar: Preußen war pleite, der Kanalbau auf unbefristete Zeit verschoben. „Das bedeutete: keine Torfgewinnung, kein Ackerbau, Leben in bitterster Armut. Nur ein bisschen Buchweizen ließ sich auf dem Moorboden ziehen.

Erst wenn der meterhohe Torfboden abgebaut war, kam man an die darunterliegende Lehmschicht. „Das machte es möglich, Lehmhütten wie diese hier zu bauen“, sagt Frau Günnel und führt die Gruppe in ein kleines, reetgedecktes Häuschen. Zwei Butzenbetten aus Lehm teilen den Stall vom engen Wohnbereich ab. „Moordorf war damals eines der kinderreichsten und gleichzeitig ärmsten Dörfer Deutschlands. In jedem Bett haben ein Erwachsener und drei oder vier Kinder geschlafen. Das war eng, aber so war es an kalten Tagen wenigstens ein bisschen wärmer. Es war so kalt im Winter, dass man das Gemüse unter den Betten lagern musste, damit es einem nicht erfror.“

In einer zweiten Lehmhütte, die schon tief in den weichen Moorboden eingesackt ist, trifft Christine Günnel einen alten Bekannten, der Besuchern seinen Heimatort zeigt. „Christine und ich sind zusammen zur Schule gegangen. Damals, vor vierzig Jahren, bin ich noch in so einer Hütte hier aufgewachsen. Strom haben wir erst um 1965 bekommen.“

In den Schulen seien die Kinder von den Lehrern noch vor wenigen Jahren mit „Moordorfer Schweinspack“ angesprochen worden – der Ort und seine Bewohner haben eine lange Geschichte von Ausgrenzung und Diskriminierung hinter sich. Die Nationalsozialisten „belegten“ anhand von Studien, dass die Moordorfer Bevölkerung schwachsinnig, kriminell, minderwertig und „zigeunerischen Ursprungs“ sei. Viele Bürger wurden (wohl auch wegen ihrer in Moordorf weit verbreiteten kommunistischen Gesinnung) in KZs umgebracht oder unter Hitlers Eugenikgesetzen zwangssterilisiert.

Den Abschluss des Rundgangs bildet das Landarbeiterhaus. „Als der Kanal, den Friedrich der Große versprochen hatte, fertig war, wurde das Land trocken“, erläutert Frau Günnel. „Der Torf konnte leichter abgebaut, verkauft und auch zum Heizen genutzt werden. Lastkähne transportierten den Torf bis ins Rheinland und brachten bei der Rückkehr von den dortigen Ziegeleien Steine mit, mit denen man Mauern um die Lehmhäuser ziehen konnte.“ Die Region war zu bescheidenem Wohlstand gekommen.

www.moormuseum-moordorf.de. Öffnungszeiten: 21. März bis 31. Oktober, täglich von 10 bis 18 Uhr, Einlass bis 17 Uhr. Eintrittspreise: 3 €/1,50 € (Kinder 6–16 Jahre)