Von „humanitärer Tradition“ kann da wohl keine Rede sein

NORWEGEN Die rigorose Abschiebungspolitik von Flüchtlingen aus Afghanistan sorgt für Empörung

„Wir sind generell gegen Zwangsrückführungen von Frauen und Kindern“

MANIZHA BAKHTARI, AFGHANISCHE BOTSCHAFTERIN IN OSLO

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

„Wir haben es fürchterlich hier“, weint Fatema während des Telefonats mit einer norwegischen Journalistin. Knapp fünf Jahre hatte sie mit Eltern und Geschwistern in Norwegen gelebt. Bis die Familie, die einen Status als zeitweise geduldete Flüchtlinge hatte, eines Morgens um 5 Uhr von der Polizei aus dem Bett geholt und am folgenden Tag nach Afghanistan abgeschoben wurde. Nun leben sie in einem 15 Quadratmeter großen garagenähnlichen Unterschlupf in Kabul. Ohne Wasser und Toilette, Strom gibt es nur sporadisch.

In ihre Heimatprovinz Urozgan können sie nicht zurück. Dort herrscht Krieg. „In Kabul kennen wir niemand“, schluchzt Fatemas achtjähriger Bruder Nasir: „Wir trauen uns auch nicht in die Schule.“ Mit drei Jahren war Nasir nach Norwegen gekommen. Er spricht nur norwegisch.

Irgendwelche Hindernisse für die Abschiebung der Familie Rahimi hatte Norwegens Ausländerbehörde UNE nicht gesehen. Entgegen der Einschätzung des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge, der für ein weiteres Bleiberecht plädiert hatte. Während Deutschland zwischen 2011 und 2014 insgesamt nur 35 „ausreisepflichtige Personen“ nach Afghanistan abgeschoben hat, waren es in Norwegen allein im vergangen Jahr über 1.000. Darunter 110 Kinder wie Fatema und Nasir.

Oslo war von Flüchtlingshilfeorganisationen schon unter rot-grüner Regierungszeit für einen sehr restriktiven Asylkurs kritisiert worden. Doch seit 2013 eine konservativ-rechtspopulistische Koalition ins Amt gekommen ist, hat sich der Zustand noch einmal massiv verschärft. Zuständig für die Flüchtlingspolitik ist Justizminister Anders Anundsen, der der ausländerfeindlichen „Fortschrittspartei“ angehört. In Umsetzung der Wahlkampfversprechen seiner Partei hat er den Ausländerbehörden eine kräftig erhöhte Abschiebequote verordnet. Dass in Afghanistan eine katastrophale Versorgungs- und Sicherheitslage herrscht, soll bei solcher „Quotenerfüllung“ offenbar keine Rolle spielen.

Bereits im November 2014 hatte das afghanische Außenministerium ausdrücklich auf diese Situation und die ökonomische Lage des Landes verwiesen und sich in Oslo schriftlich darüber beschwert, dass der „Deportationsgrad“ aus Norwegen so stark angestiegen sei. Man fordert daher Norwegen auf, alle Zwangsabschiebungen zu stoppen.

Den Brief hielt Oslo geheim. Er wurde auch nicht – wie es die Pflicht der Regierung gewesen wäre – dem zuständigen Parlamentsausschuss zugänglich gemacht, sondern erst über ein Medienleck Ende vergangener Woche bekannt. Die Behauptung der Regierung, bei der Handhabung der Abschiebungen befinde man sich in Übereinstimmung mit Kabul, entpuppte sich damit als Lüge. Sie wisse nicht, warum Oslo glaube, die Situation in Afghanistan habe sich so weit verbessert, betont auch Manizha Bakhtari, die afghanische Botschafterin in Oslo: „Wir sind generell gegen Zwangsrückführungen und speziell gegen solche von Frauen und Kindern.“ Und sie appellierte an die „humanitäre Tradition“ Norwegens.

Norwegen könne offenbar „gnadenlos“ sein, kommentiert die konservative Aftenposten, und die liberale Ny Tid erinnert die Regierung in Oslo an „unsere Mitverantwortung für das Unglück dieser Kinder“. „Skandal“ und „Schande“ heißt es in anderen Medien. Es gibt erste Rücktrittsforderungen. Noch hält Ministerpräsidentin Erna Solberg ihrem Justizminister die Stange. Auch wenn sie „einige schwierige Diskussionen zur Ausländerpolitik“ einräumt.