KIM TRAU POLITIK VON UNTEN
: Der Strich zwischen den Beinen

Das Geschlecht einer Person ist nicht von der Gesellschaft konstruiert – genauso wenig, wie Farben konstruiert sind

Welchen Charakter hat Geschlecht? Ist es angeboren und damit unveränderlich oder anerzogen und veränderbar? Seit 1990 Judith Butlers Buch „Gender Trouble“ erschien, ist ihre These weit verbreitet: Frau und Mann sind Konstrukte der Gesellschaft, die Körper eingeschlossen.

Ich bin da skeptisch. Zugegeben: Im Laufe meiner Geschlechtsangleichung habe ich mir ein paar Sachen erst aneignen müssen. Schminken etwa. Aber das Entscheidende ist für mich die körperliche Komponente, weniger die gesellschaftliche Erwartung.

Vielleicht kann ein Erlebnis aus meiner Kindheit das deutlich machen: In der Grundschule sollten wir uns einmal malen, wie wir duschen. Wahrscheinlich ging es dabei um die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, ich weiß nicht mehr genau. Ich erinnere mich jedoch daran, wie ich mich gewunden habe, diesem Körper einen kleinen Strich zwischen die Beine zu malen, wie es von mir erwartet wurde. Zu blöd, dass der Strich, als er dann da war, nicht mehr richtig wegzuradieren ging. Was war es, das mich schon als Kind so verunsicherte und erst viel später, nach meiner geschlechtsangleichenden Operation, Ruhe gab?

Julia Serano stellt in ihrem Buch „Whipping Girl“ die These auf, dass wir alle ein unterbewusstes neurologisches Körpergeschlecht haben und dass dieses bei manchen Menschen nicht mit dem Rest des Körpers übereinstimmt. Für jemanden, die_der nicht zu diesen Menschen gehört, ist das natürlich schwer zu verstehen. Daher ein Vergleich: Nehmen wir an, die meisten Menschen wären rot-grün-blind: Was würde wohl über die gesagt, die diese beiden zwei Farben erkennen können? Vielleicht würden sie ignoriert, vielleicht aber auch für verrückt oder pervers erklärt und verfolgt. Und natürlich würde sich dann niemand „rot-grün-blind“ nennen, sondern „normal“.

Wer nun sagt, Geschlecht sei eine reine Konstruktion ohne körperliche Grundlage, verhält sich wie ein Rot-Grün-Blinder, der diese beiden Farben für eine Konstruktion hält. Die Worte sind sicher konstruiert, aber nicht die Empfindungen, nicht die Wahrnehmungen der Welt, die sich dahinter verbergen. Wenn etwas konstruiert ist, dann das, was die Gesellschaft aus Geschlecht gemacht hat: Normen – also Vorgaben, an die sich jede_r Einzelne unabhängig von ihren_seinen eigenen Empfindungen zu halten hat. Und diese Normen sind es auch, die uns sagen wollen, was für Genitalien, Verhaltensweisen und Kleidungsstücke eindeutig zu einer Frau oder zu einem Mann gehören. Mein Ideal wäre ein Welt, in der sich jede_r so definieren kann, wie sie_er das möchte, ohne dafür benachteiligt zu werden – aber keine Welt, die Geschlecht für eine Illusion hält.

Die Autorin studiert Geschichte in Uppsala Foto: privat