Frauen am Ball

INKLUSION Seit 2006 spielen einige Frauen mit geistiger Behinderung und psychischen Einschränkungen Fußball in einem Lichtenberger Verein. Dessen Gründerin, Anne Fischer, träumt von einer eigenen Frauenliga für Menschen mit Handicap

VON HILKE RUSCH

Anne Fischer muss man sich vorstellen wie eine Art Sportdirektorin und Trainerin in Personalunion: Sie knüpft Kontakte, treibt neue sportliche Gegnerinnen auf und sie leitet das Fußballtraining. Gut 20 Frauen trainieren heute auf dem Fußballplatz in der Fischerstraße in Lichtenberg. Paarweise werfen sie sich den Ball zu, die Partnerin soll ihn mit der Brust stoppen. „Anne, mir tut das weh“, ruft eine Spielerin. „Nicht schlimm“, antwortet Fischer, „nimm den Ball einfach mit dem Fuß an.“

Fischers Club heißt Frau am Ball. Seit der Vereinsgründung 2006 ist die Sozialarbeiterin, 33, treibende Kraft des Vereins. Mehrmals im Jahr bestreitet ihr Team Freundschaftsspiele, bei den Special Olympics – dem internationalen Sport-Event für Menschen mit geistigen Behinderungen – 2011 belegten sie den vierten Platz.

Leistung steht hintenan

„Eigentlich gehören wir da aber gar nicht mehr wirklich hin“, sagt Fischer, „eine geistige Behinderung haben hier die wenigsten, einige bezeichnen sich auch gar nicht als behindert.“ Seit Anbeginn verstand sich der Verein als inklusiv. Neben den Kickerinnen mit geistiger Behinderung kommen auch Frauen und Mädchen, die psychische Einschränkungen oder Lernbehinderungen haben. Für sein Engagement erhielt der Verein im vergangenen Jahr den zweiten Preis in der Kategorie „Integratives Engagement“ des Berliner Fußballverbandes. Das Wichtigste bei Frau am Ball ist für Fischer, die Leistungsanforderungen hintenan zu stellen. Im Mittelpunkt steht die gemeinsam verbrachte Zeit. Das gilt auch für Freundschaftsspiele gegen andere Teams: Eine Ersatzbank gibt es nicht. Spielen mehrere Frauen auf derselben Position, wird eben häufig gewechselt – auch wenn das mit den Vorstellungen einiger ehrgeiziger Spielerinnen kollidiert.

Daniela Huhn ist von Beginn an Mitglied des Fußballvereins. Jeden Freitag und Sonntag versucht sie zu trainieren. „Sonst werden wir ja auch nicht besser!“, sagt sie. Zuerst war Huhn Torfrau, nun steht sie im Mittelfeld – im Tor spielten die Nerven nicht mehr mit. Den Fußball hat Huhn erst durch Frau am Ball für sich entdeckt. Vorher spielte sie Badminton und gewann mit dem Team ihrer Behindertenwerkstatt auch Medaillen bei den Special Olympics. Besonders wichtig ist Huhn bei Frau am Ball, dass Spielerinnen jeden Alters willkommen sind. Derzeit ist die Jüngste 16 Jahre alt, die Älteste 61.

Drei Euro kostet der Vereinsbeitrag bei Frau am Ball im Monat, den Trainingsplatz in Lichtenberg können die Frauen umsonst nutzen, da der Verein gemeinnützig ist. Für die Anschaffung von Trikots oder Bällen ist der Club auf Spenden angewiesen, von Aktion Mensch erhalten sie immer mal kleinere Beträge. Für die Anreise zu Auswärtsspielen braucht es auch finanzielle Unterstützung von Privatleuten.

Auch wenn sich das Sportangebot von Frau am Ball – wie der Name schon sagt – an Frauen richtet, versucht der Klub seit einem Jahr auch ein Männerteam aufzubauen – mit mäßigem Erfolg, denn Mannschaftsstärke hat die Männergruppe derzeit nicht. Ein Grund dafür ist wohl, dass es für Männer mit Behinderungen in Berlin vergleichsweise viele Möglichkeiten gibt, Fußball zu spielen, so auch seit 2010 in einer Liga des Behindertensportverbands.

Eine eigene Frauenliga

Auch deshalb hat Fischer eine eigene Frauenliga für Menschen mit Handicap beim Berliner Fußballverband (BFV) ins Gespräch gebracht. Doch schlug man ihr hier vor, der Kleinfeld-Bezirksliga – einer Liga mit regulärem Spielbetrieb – beizutreten. Das ist für Fischer jedoch keine Option: „Einige Spielerinnen sind dem Druck wöchentlicher Punktspiele nicht gewachsen“, sagt sie, „sie könnten abgehängt werden.“

Fischers Idealvorstellung wäre also eine Handvoll Fußballvereine, mit denen Frau am Ball gemeinsam eine eigene kleine Liga aufbauen würde. So wie in Nordrhein-Westfalen, wo in den siebziger Jahren Fußballteams für Frauen mit Behinderungen aufgebaut wurden, die zum Teil noch heute existieren und in einer Liga gegeneinander antreten. Regelmäßig treffen die Spielerinnen von Frau am Ball bei Freundschaftsspielen auf die Fußballteams aus Nordrhein-Westfalen. Der Traum von einer eigenen Berliner Liga – doch bis es so weit ist, würde sich Fischer erst mal über weitere FußballerInnen und über Verstärkung beim Anleiten des Trainings freuen.