Cannabis-Eigenanbau jetzt!

ARZNEI Gesetzliche Krankenkassen sollen ab 2016 für Cannabis als Medizin zahlen. Das fordert ausgerechnet die Union. Ein längst überfälliger Schritt

VON OLIVER TOLMEIN

Bemerkenswerterweise war es die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, die CSU-Politikerin Marlene Mortler, die gestern mit der Nachricht an die Medien ging, dass ab 2016 Patienten der Gesetzlichen Krankenkassen unter bestimmten Bedingungen Cannabis als Medizin auch auf Rezept erhalten sollen. Und es war sicher auch kein Zufall, dass diese mit dem Bundesgesundheitsminister abgestimmte Nachricht als Erstes an die Welt ging und von dort innerhalb Springerkonzern rasch ihren Weg auf Bild.de fand: „Auf Rezept: Kiffen für Kranke“.

Das Boulevardmedium hatte im letzten Jahr schon die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln wohlwollend kommentiert, das drei schwerkranken Patienten den Eigenanbau von Cannabis erlaubt hat, weil andere Therapien nicht helfen und das in den Niederlanden angebaute und über deutsche Apotheken mit Sondergenehmigung zu beziehende Medizinalcannabis zu teuer ist. Der Krieg gegen die Drogen soll künftig mit weniger Kollateralschäden ausgefochten werden. Die schwerkranken Patienten, für die Kiffen die nebenwirkungsarme Alternative zu bitteren Pillen ist, werden aus der Schusslinie genommen.

Das klingt erst mal gut und ist eine humanitäre Entscheidung, die zwar schon vor vielen Jahren hätte getroffen werden müssen, die aber auch heute Respekt verdient: Andere Gesundheitsminister haben es nicht geschafft oder waren nicht daran interessiert, dieses spätestens seit Ende der 90er Jahre drängende Thema einer Lösung zuzuführen: nicht Andrea Fischer von den Grünen, nicht die SPD-Politikerin Ulla Schmidt, die mehr als acht Jahre im Amt war, und erst recht nicht die beiden liberalen Amtsinhaber Philipp Rösler und Daniel Bahr, die stattdessen dem Bundesamt für Arzneimittel Knüppel zwischen die Beine geworfen haben, als es aus fachlicher Sicht in eng begrenztem Rahmen den Eigenanbau für hilfesuchende Patienten freigeben wollte.

Medizinalhanf

Allerdings sind hinsichtlich der Ausgestaltung des Gesetzentwurfes, der noch in diesem Jahr fertig werden soll, fast alle wichtigen Fragen offen – auf Anfrage konnte das Bundesgesundheitsministerium noch nicht einmal beantworten, ob die Kostenübernahmevorschrift ins Sozialgesetzbuch V geschrieben werden soll, das die Leistungsansprüche der gesetzlich Versicherten regelt. Das ist aber wichtig. Cannabis als Medizin muss auch wie andere Behandlungsmittel und -methoden behandelt werden. Es muss der Automatismus gelten: Verschreibung durch den Arzt, Kostenübernahme durch die Krankenkasse.

Da es für die Heilpflanze Cannabis keine arzneimittelrechtliche Zulassung gibt, entfällt auch das komplizierte Problem, dass hier ein Indikationskatalog festgesetzt werden muss. Mindestens genauso entscheidend ist aber etwas anderes: Medizinalhanf muss auch in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Die bisweilen wochenlangen Lieferausfälle, mit denen Patienten heute leben müssen, die Medizinalhanf legal beziehen können und die in der glücklichen Lage sind, auch genug Geld dafür zu haben, es tatsächlich zu kaufen, müssen der Vergangenheit angehören. Das setzt voraus, dass auch hierzulande Unternehmen die Erlaubnis erteilt wird, potentes Cannabis für medizinische Zwecke anzubauen. Das wird nicht über Nacht gelingen.

Die Patienten, die jetzt Schmerzen haben, die an schweren Gleichgewichtsstörungen leiden oder die Behandlung für ihre auszehrenden Krebserkrankungen dringend benötigen, brauchen aber nicht erst irgendwann 2016 Lösungen, sondern jetzt. Dass die Politik viel zu lange nicht gehandelt hat, darf nicht zu ihren Lasten gehen.

Daher ist zu fordern, dass das Bundesgesundheitsministerium jetzt sofort das Bundesamt für Arzneimittel anweist, Eigenanbauerlaubnisse für die Patienten zu erteilen, die Anspruch auf Medizinalhanf haben. Wenn es erforderlich erscheint, befristet bis zum Inkrafttreten einer Lösung, die die Kostenübernahme durch die Krankenkassen vorsieht und sicherstellt, dass es dann auch ausreichend Medizinalhanf geben wird.