Stadträte pflegen Sex-Tabu für Behinderte

HANDICAP Die Wiederwahl des Koblenzer Behindertenbeauftragten am Mittwoch steht infrage – nach einem taz-Interview zu seinen eigenen sexuellen Erfahrungen

KOBLENZ taz | Der Koblenzer Behindertenbeauftragte Christian Bayerlein wird für seine Arbeit allseits gelobt. Trotzdem wird er am Mittwoch möglicherweise nicht wiedergewählt – weil er in einem Interview mit der taz über seine Sexualität gesprochen hat.

Der Sozialausschuss der Stadt Koblenz entscheidet am Mittwoch über die Neuwahl des Behindertenbeauftragten. Ende vergangenen Jahres war die vorgesehene Wiederwahl von Bayerlein – ohne GegenkandidatInnen – auf Betreiben der CDU überraschend von der Tagesordnung genommen worden. Die Christdemokraten meldeten „Redebedarf“ an. In dem Interview hatte Bayerlein offen über seine Erfahrungen, Sexualbegleitung und Behinderung als Fetisch gesprochen. Mehrfach hatte er den Koblenzer StadträtInnen Gespräche zu dem Interview angeboten. „Bis auf die Grünen hat niemand auf meine Gesprächsangebote reagiert“, sagt Bayerlein.

Die Stadtverwaltung hat elf Organisationen angeschrieben und um neue Vorschläge für das Amt des Behindertenbeauftragten gebeten. Auf der Vorlage für die Sitzung des Sozialausschusses stehen fünf KandidatInnen. Bayerlein und sein bisheriger Stellvertreter Joachim Seuling wurden vom „Kreis Koblenz – Club Behinderter und ihre Freunde“ vorgeschlagen. Der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderte hat zwei weitere KandidatInnen aufgestellt, die aber nicht gegen Bayerlein ins Rennen gehen. „Wir hoffen, dass Herr Bayerlein wiedergewählt wird“, sagt Olga Dolgich, eine der KandidatInnen. Nur falls er nicht gewählt wird, treten die beiden Bewerber an.

Der fünfte Kandidat stammt vom Sozialverband VdK. Dabei ist auch der Koblenzer VdK-Vorsitzende Rigobert Scherf der Meinung, dass Bayerlein hervorragende Arbeit geleistet hat. „Aber es ist klar, dass er nicht wiedergewählt wird“, glaubt Scherf. Deshalb habe der VdK einen eigenen Kandidaten aufgestellt, zur Person will Scherf sich nicht äußern. Der Kandidat sitzt für die CDU im Jugendhilfeausschuss.

Die CDU hat 21 Sitze im Stadtrat, für eine Mehrheit sind 29 Stimmen erforderlich. Wie die SPD und die kleineren Gruppen sich verhalten, ist unklar. Die Grünen unterstützen nach wie vor die Kandidatur von Bayerlein. „Er hat eine prima Arbeit gemacht und die Belange Behinderter vorangebracht“, sagt der grüne Stadtrat und Landtagsabgeordnete Nils Wiechmann. Dazu gehöre auch, Tabus wie das Thema Sex und Handicap anzugehen. „Genau das ist sein Job“, sagt Wiechmann. ANJA KRÜGER