Jukebox

Man muss auch mal ein E für ein U vormachen

Wer bis jetzt der Meinung war, dass die Welt im Eigentlichen gar nicht so kompliziert eingerichtet sei, hat sich einfach noch nie mit der Gema beschäftigt. Imposanter klingt diese Einrichtung mit vollem Namen: Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte. Sie ist in Deutschland dafür zuständig, dass Musiker und Komponisten für ihre Musik auch Geld bekommen. Eine Sache, die okay ist, will man meinen. Mit der Frage, wer dann wie viel zu bekommen hat, wird die Sache allerdings verzwickt. In ihrem Verteilungsschlüssel ist die Gema zum Beispiel der sturen Ansicht, dass es einen Unterschied gebe zwischen der E- und U-Musik, also zwischen „ernster“ Bildungsmusik (vulgo: der klassische Sektor) und dem „unterhaltenden“ Rest (Pop und das sonstige Gekreuch). Bildungsdünkel halt. Nur: Für die Einordnung in E gibt es mehr Geld.

Musik ist eben nicht nur einfach Musik. Vielleicht muss man sich die Systeme wie die beiden Koreas vorstellen. Ein Austausch zwischen den Lagern ist also durchaus möglich. Er beschränkt sich jedoch auf minimales Maß. Eisige Unvertraulichkeit. Zwischen den Kunstgattungen ist die Durchlässigkeit dabei um einiges größer als innerhalb des Genres Musik selbst. Bei der der bildenden Kunst gewidmeten Hochkunsteinrichtung documenta beispielsweise ist in den Begleitprogrammen immer wieder höchst avancierte, experimentelle Musik zu hören, nach der man bei den eigentlichen Fachfestivals für Musik oft vergeblich Ausschau hält. Solchen, die sich der seriösen Klangkunst widmen und sich einfach nicht zuständig fühlen für eine Musik, die nicht nur nach dem Gema-Schlüssel als weniger E empfunden wird.

Wie zementiert die Verhältnisse sind, zeigt schon der Sachverhalt, dass es da draußen kaum einen Komponisten gibt, der auf Relevanz beiderseits der Grenzlinie von E und U pochen darf. So eine Ausnahmeerscheinung ist Heiner Goebbels, vielleicht der Joschka Fischer der Musik: mit dem Sogenannten Linksradikalen Blasorchester begleitete er die Frankfurter Spontiszene, er maß Bach und Eisler am Jazz ab, machte mit Cassiber freigeistigen Agitrock. Und näherte sich mit Theatermusik immer mehr dem Terrain der „Kunstmusik“, wo er mittlerweile als einer der bedeutendsten Komponisten zeitgenössischer Musik gelten darf. Heute hat seine aktuelle Klanginstallation „Stifters Dinge“ im Haus der Berliner Festspiele Premiere. Aufführungen bis 13. Oktober. THOMAS MAUCH