Die letzte Brandmauer der SPD

EDATHY Im Untersuchungsausschuss sagt heute Michael Hartmann aus. Der SPD-Abgeordnete steht unter Druck – und könnte den eigenen Fraktionschef belasten

■ Ab 13 Uhr tagt der Bundestagsuntersuchungsausschuss, und zunächst vernimmt er den Anwalt von Sebastian Edathy. Er soll erzählen, wann ihm sein Mandat von den drohenden Kinderporno-Ermittlungen erzählte – und ob er tatsächlich Hartmann als Quelle nannte. Von der Schweigepflicht hat ihn Edathy dafür entbunden. Im Anschluss wird es spannend: Dann ist Michael Hartmann dran. Seine Vernehmung könnte unter Umständen bis in die Nacht dauern. Im Anschluss berät das Gremium über die Zeugen der kommenden Wochen. Eventuell werden die Abgeordneten dann auch Thomas Oppermann vorladen.

AUS BERLIN TOBIAS SCHULZE

Eine Katastrophe. Das Bild, das die SPD im Edathy-Untersuchungsausschuss abgibt, ist eine wirkliche Katastrophe. Eine richtig dramatische sogar, mit verschiedenen Eskalationsstufen. Nach jeder neuen Sitzung, nach jedem neuen Zeugen wird die Lage für die Partei noch ein wenig katastrophaler. Und das Ende ist noch nicht erreicht: Wenn der Ausschuss heute erneut tagt, droht den Sozialdemokraten ein neuer Tiefpunkt.

Auf dem Zeugenstuhl muss sich der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann erklären. Nach neuen Aussagen aus der vergangenen Woche steht er unter Druck, denn eine Reihe von Zeugen stützt die Version, die Sebastian Edathy verbreitet hatte: Hartmann erfuhr im November 2013 von bevorstehenden Kinderporno-Ermittlungen gegen seinen damaligen Fraktionskollegen und warnte ihn, sodass dieser Beweise beseitigen konnte.

Hartmann dementierte diese Behauptung im Dezember im Ausschuss – und hat dabei offenbar gelogen. Jetzt steckt er im Zwiespalt. Bleibt der rheinland-pfälzische Abgeordnete bei seiner Version, droht ihm ein Verfahren wegen Falschaussage. Räumt er ein, Edathy gewarnt zu haben, könnte er aber ebenfalls Probleme bekommen: wegen Strafvereitelung. Und auch für seine Partei könnte der Zeuge zum Problem werden – falls er richtig auspackt und verrät, ob noch andere Sozialdemokraten mit in der Affäre stecken, vielleicht sogar die Fraktionsspitze.

Es geht also noch katastrophaler. Ein kleiner Zwischenstand: Drei der noch vor einem Jahr renommiertesten SPD-Innenpolitiker nehmen Gesetze offenbar nicht sonderlich ernst. Da wäre einmal Edathy (Kinderpornos, mutmaßlich) und einmal Hartmann (Crystal Meth, erwiesen; Strafvereitelung oder Falschaussage, siehe oben). Dazu Fraktionschef Thomas Oppermann, der beim BKA-Chef anrief und wissen wollte, was gegen seinen Kollegen Edathy denn so vorliegt (Versuch einer Anstiftung zum Geheimnisverrat, mindestens). Und damit war Oppermann nicht alleine.

Hartmann muss im Ausschuss auch drei Anrufe beim rheinland-pfälzischen LKA-Präsidenten erklären, den er aus gemeinsamen Mainzer Zeiten kennt. Im Januar 2014 soll der Parlamentarier den Polizisten am Telefon um einen heiklen Gefallen gebeten haben: Es gebe doch da diese Kundenliste einer kanadischen Firma, die Kinderpornos angeboten hatte. Nun wolle er fragen, so rein aus Interesse: Wie laufen denn die Ermittlungen? Der arme LKA-Mann war ganz konsterniert und vertröstete Hartmann. „Hör auf, anzurufen!“, will er nach dem dritten Telefonat schließlich gesagt haben. „Damit bringst du mich und dich in Riesenschwierigkeiten!“

Machen die bei der SPD das eigentlich immer so? Bei Polizeipräsidenten anrufen, wenn ein Genosse etwas verbrochen hat? Und der Rechtsstaat? Gilt nur für jene, die nicht das Glück einer direkten Leitung zu Topbeamten haben? Eigentlich dürften die Sozen nach diesen Enthüllungen nie wieder ein Innenministerium bekommen, in hundert Jahren nicht.

Wie katastrophal die SPD dasteht, will sie selbst aber noch immer nicht wahrhaben. Die Genossen glauben tatsächlich, sich irgendwie durch die Affäre manövrieren zu können. Ein überbordendes Interesse an der Wahrheitsfindung zeigen sie zumindest nicht.

Als die Opposition in der vergangenen Woche Hartmanns Aussage vorziehen wollte, ihn während der laufenden Sitzung in den Saal holen lassen wollte, um ihn mit den neuen Aussagen des LKA-Präsidenten und anderer Zeugen zu konfrontieren – da blockte die SPD den Vorschlag ab. Man brauche schließlich ein paar Tag Zeit, um sich in Ruhe neue Fragen zu überlegen. Prima für Hartmann: Er hatte jetzt auch ein paar Tage Zeit. Um sich in Ruhe neue Antworten auszudenken. „Das Sitzungsprotokoll hat inzwischen sicherlich den Weg zu Herrn Hartmann gefunden“, sagt Irene Mihalic, Obfrau der Grünen im Ausschuss. „Er konnte jetzt neue Geschichten auskaspern“, sagt Frank Tempel, Obmann der Linkspartei.

„Hartmann konnte jetzt neue Geschichten auskaspern“

FRANK TEMPEL (LINKSPARTEI)

Oder wirft Hartmann jetzt doch endlich hin, weil ihm der Druck zu groß wird? Entscheidet er sich für die Wahrheit, statt neue fingierte Geschichten zu erzählen? Was müsste er stattdessen aussagen? Dass er Edathy tatsächlich vorgewarnt hat? Dass die drohenden Ermittlungen innerhalb der Fraktion ein offenes Geheimnis waren? Dass er Edathy nicht aus eigenen Stücken geholfen hat, sondern einen Auftraggeber hatte?

Im November 2013 sprach Hartmann mit Fraktionschef Oppermann über den gemeinsamen Kollegen, das ist unbestritten. Beide wussten damals, dass Kinderporno-Ermittlungen bevorstehen könnten. „Kümmere dich um ihn“, soll Oppermann gesagt haben. Angeblich nur, weil Edathy einen miserablen gesundheitlichen Eindruck machte. Wirklich?

Außer den Sozialdemokraten zweifeln an dieser Version inzwischen alle Mitglieder des Ausschusses. Manche raunen es nur, manche spekulieren offen: Oppermann könnte Hartmann den Auftrag erteilt haben, Edathy zu informieren. Dafür hätte der Fraktionschef zwei Motive gehabt: Entweder sollte Edathy Beweise beseitigen können. Oder er sollte sich rechtzeitig unter Druck fühlen, sodass er sein Mandat freiwillig niederlegt, bevor die Staatsanwaltschaft die Aufhebung seiner Abgeordnetenimmunität beantragt. Wäre der Plan aufgegangen, hätte Oppermann in beiden Fällen Schaden von der Fraktion abgewandt.

Für den Verdacht gibt es derzeit keine Beweise. Die Spekulationen hören trotzdem nicht auf. Und das haben sich die Sozialdemokraten selbst zuzuschreiben: Sie führen sich noch immer auf, als hätten sie mit der ganzen Katastrophe überhaupt nichts am Hut. „Wir haben hier zwei Akteure, die sich widersprechen“, sagte SPD-Obmann Uli Grötsch am Mittwoch. „Das sehe ich nicht als Sache der SPD.“