Alle unter einem Dach

Oma, Opa, Enkelkinder: Beim neuen Boom der Wohnprojekte spielt das Mehrgenerationenwohnen eine große Rolle. Ein Besuch in Karlshorst

VON NANA HEIDHUES

Der moderne Städter lebt anonym: Wird die Musik beim Nachbarn zu laut, klopft er gegen die Wand. Hier und da eine zufällige Begegnung an der Mülltonne im Hinterhof. Dass Großstadtleben auch anders aussehen kann, zeigt seit Samstag die Initiative „Experimentdays 07“.

Der Name ist Programm: Es geht ums Ausprobieren und darum, der Vereinzelung im Mietshausalltag und der Privatisierung von Wohnraum kreative Alternativen entgegenzusetzen. Mit einer Projektbörse, mit Exkursionen, Kurzfilmen und einem runden Tisch werben Wohnprojekte und Baugenossenschaften um Unterstützer und neue Mitstreiter.

Die Vielfalt der über 70 Projekte zeigt, dass selbst organisierte Hausgemeinschaften längst nicht mehr auf die klassische Besetzerszene beschränkt sind. Mehrgenerationenhäuser und Baugenossenschaften für Migranten sind bei den „Experimentdays“ ebenso vertreten wie interkulturelle Gartenanlagen oder ein Wohnprojekt für alte Lesben und Schwule. „Auf dem Land ist es noch üblicher, dass Alt und Jung unter einem Dach leben. In Berlin muss man extra ein Projekt dafür starten“, sagt Peter Weber von der Selbstbau e. G. Seit letztem Jahr baut die Mietergenossenschaft in Karlshorst eine denkmalgeschützte Schule aus dem 19. Jahrhundert zu einem Mehrgenerationenhaus um. Wo bis Anfang der Neunzigerjahre noch sowjetische Offizierskinder die Schulbank drückten, wollen ab Frühjahr 2008 Teenager und Rentner, Behinderte und Familien zusammenleben. Von den barrierefrei gebauten Wohnungen hat die Genossenschaft ein Drittel für alte oder behinderte Menschen reserviert. Als Modellprojekt wird das Generationenhaus vom Senat unterstützt.

„Natürlich können wir keinem in den Mietvertrag schreiben, dass er seiner Nachbarin helfen soll“, sagt Weber. „Deshalb wollen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass von Anfang an ein Gemeinschaftsgefühl entstehen kann.“ Seit eineinhalb Jahren treffen sich die zukünftigen Bewohner regelmäßig und diskutieren darüber, wie ihr Zusammenleben aussehen soll. Gerade für die Älteren wird es das erste Mal sein, in einer so großen Hausgemeinschaft zu leben. Manche der über 60-Jährigen sind aus der Region und haben über Anzeigen in lokalen Zeitungen vom Mehrgenerationenhaus erfahren. Andere kamen über ihre Kinder dazu, die bereits in Berliner Hausprojekten leben, und ziehen nun aus den westlichen Bundesländern nach Karlshorst.

Nicht alle sind geblieben. „Gerade einige der Älteren waren erschrocken über unsere ausgeprägte Streitkultur und sind wieder ausgestiegen“, erzählt Weber. Insgesamt habe die Mischung aus Jung und Alt jedoch zu einem „rücksichtsvolleren Umgang in Diskussionen“ geführt, als er es von altersmäßig homogenen Hausgemeinschaften kenne.

Für Ralf Weißheimer liegt die besondere Herausforderung am Mehrgenerationenhaus darin, dass die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen Bewohners berücksichtigt werden. Weißheimer ist einer der beiden Architekten, die aus den vier Meter hohen Klassenräumen ein alten- und behindertengerechtes Zuhause machen. „Gerade beim barrierefreie Bauen wird es interessant. Denn es gibt ja nicht den genormten Rollstuhlfahrer.“ Deshalb nehmen Weißheimer und sein Kollege die Bewegungsmöglichkeit jedes Einzelnen genau in ihre Pläne mit auf.

Die 21 Wohnungen im Karlshorster Mehrgenerationenhaus sind bereits alle reserviert. Wer nun aber dennoch Lust auf gemeinschaftliches Wohnen bekommen hat, kann sich heute noch von 16 bis 20 Uhr beim runden Tisch der „Experimentdays 07“ in der Ufa-Fabrik nach einem passenden Projekt umsehen. Oder weiter an die Wand klopfen, wenn der Nachbar zu laut wird.