Einsatz verweigert – Patient tot

Die Lübecker Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen Notarzt, der einen Einsatz verweigert haben soll. Der Bundestag berät zurzeit über die Frage, ob in Abwesenheit von Medizinern Rettungsassistenten mehr ärztliche Aufgaben übernehmen dürfen

Auf Bundesebene debattieren Ärzteschaft und Rettungsassistenten zurzeit, inwieweit die Ausbildung von Sanitätern verbessert werden soll und diese verstärkt notärztliche Aufgaben übernehmen dürfen. Jüngsten Zahlen zufolge sind Rettungsassistenten im Durchschnitt 1,5 Minuten vor den Notärzten am Einsatzort. Fachleute gehen zudem davon aus, dass Patienten bei der Notfallversorgung in Zukunft immer mehr auf Sanitäter angewiesen sein werden. Gerade in ländlichen Gebieten könne es „perspektivisch gesehen zu Engpässen kommen“, sagte Norbert Kronenberg vom Deutschen Städtetag im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Grund ist zum einen die demographische Entwicklung: Notfallpatienten sind überwiegend ältere Menschen. Infolge der steigenden Lebenserwartung steigt die Anzahl der Notfalleinsätze. Zudem spezialisieren die Krankenhäuser sich zunehmend, so dass immer weniger Kliniken Notarztstützpunkte bilden. EE

VON ELKE SPANNER

Es ist kurz nach 22 Uhr, als Marco König, Koordinator des Lübecker Rettungsdienstes in dieser Nacht, den Notruf erhält. Ein alter Mann, 81 Jahre alt, ist in seiner Wohnung zusammengebrochen. Rettungsassistenten sind schnell vor Ort, die aber fordern einen Notarzt an: Der Patient muss reanimiert werden. König wendet sich an den diensthabenden Notarzt in der Lübecker Uniklink – und kassiert eine Absage. Der Notarzt weigert sich, zum Einsatz aufzubrechen. Der Rentner stirbt. König erstattet Strafanzeige bei der Polizei.

Der Fall, der sich bereits im Mai ereignete, wurde nun bekannt, weil er inzwischen die Lübecker Staatsanwaltschaft beschäftigt. Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz bestätigt entsprechende Ermittlungen wegen unterlassener Hilfeleistung und möglicher anderer Straftaten. Denn der Notarzt, sagt Rettungsassistent König, hätte den Einsatz keinesfalls verweigern dürfen.

Der Mediziner hat zur Begründung für seine Weigerung angegeben, dass die erforderlichen Reanimationsmedikamente nicht vorhanden gewesen seien. Dem aber widerspricht König energisch: Die gängigen Wiederbelebungsmittel Adrenalin, Amiodaron und Atropin seien bei allen Rettungswagen an Bord. Die Behauptung des angefunkten Arztes, sie seien nicht verfügbar, könnte nur eine Ausrede für Gründe sein, die sich König nicht erklären kann: „Der Arzt hätte fahren müssen.“ Der Notarzt aus Bad Schwartau, den der Koordinator dann stattdessen zum Einsatzort schickte, traf dort erst 20 Minuten später ein. Zu dem Zeitpunkt hatten die Rettungsassistenten die vergeblichen Versuche, den Mann zu reanimieren, bereits eingestellt.

Die Möglichkeiten der Sanitäter, Patienten selbst zu helfen, sind begrenzt – praktisch wie auch gesetzlich. Insoweit kann dieser Fall als drastisches Beispiel in einer Debatte dienen, die zurzeit im Bundestag läuft: Das Parlament bereitet gerade auf Antrag der FDP-Fraktion eine Novelle des Rettungsassistentengesetzes vor. Ende des Jahres soll ein erster Entwurf vorliegen. Bei dieser Überarbeitung ist das zentrale Thema, ob und inwieweit die Kompetenzen von Rettungsassistenten ausgeweitet werden sollten.

Deren Berufsverbände fordern, dass Sanitäter vermehrt Aufgaben übernehmen dürfen, die zurzeit alleine Notärzten vorbehalten sind. Im Fall des Lübecker Rentners waren die Rettungssanitäter 20 Minuten mit dem Patienten alleine, ehe der Notarzt aus Schwartau eingetroffen war. In dieser Zeit haben sie zwar verzweifelt versucht, den alten Mann zu reanimieren. Von den drei verfügbaren Arzneien durften sie ihm laut Vorschrift aber nur eine verabreichen. Als der Notarzt endlich kam, war es für den Einsatz der beiden anderen Medikamente allerdings bereits zu spät.

Was Rettungsassistenten dürfen ist je nach Bundesland und Einsatzgebiet unterschiedlich geregelt. So dürfen beispielsweise die wenigsten Rettungsdienste Patienten Schmerzmittel geben. Untragbar, sagt der Lübecker Sanitäter König, der auch Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst (DBRD) ist: Nach Verkehrsunfällen müssten die Sanitäter Schwerverletzte vor Schmerzen schreien lassen, bis der Notarzt kommt. Der DBRD verlangt, die medizinische Ausbildung der Sanitäter zu vertiefen und ihnen mehr Kompetenzen zu geben.

Auch die Bundesärztekammer ist dafür, die Ausbildung der Rettungsassistenten zu verbessern. Bei der Debatte des Themas im Gesundheitsausschuss des Bundestages sprach sich die Ärztevertretung im Juni dafür aus, die Ausbildungszeit der Rettungssanitäter von derzeit zwei auf drei Jahre zu verlängern. Die Ärztekammer ist jedoch dagegen, dass Sanitäter infolge der besseren Ausbildung mehr ärztliche Aufgaben übernehmen dürfen: „Der Anspruch der Notfallpatienten auf ärztliche Behandlung bleibt unberührt.“

Darauf besteht auch die Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands. Deren Vorsitzender Detlef Blumenberg warnte im Gesundheitsausschuss: „Auch bei einer Blinddarmoperation wird zu Recht erwartet, dass ein Chirurg den Eingriff vornimmt, und nicht die OP-Schwester.“