Umfassende Autonomie für den Donbass

DIPLOMATIE Der Friedensplan von Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande für die Ukraine ist noch nicht im Detail bekannt. Experten: Kiew muss wohl einige Kröten schlucken

■ Der prominente US-Senator John McCain hat die Ukrainepolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) scharf kritisiert. „Wenn man sich die Haltung der deutschen Regierung anschaut, könnte man meinen, sie hat keine Ahnung oder es ist ihr egal, dass Menschen in der Ukraine abgeschlachtet werden“, sagte der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses im Senat in einem Interview der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. Der Sender veröffentlichte Auszüge daraus vorab. McCain, der seit Monaten Waffenlieferungen an die Ukraine fordert, verglich Merkels Verhalten mit der „Appeasement“-Politik vor dem Zweiten Weltkrieg. Zugleich warf McCain der Kanzlerin Untätigkeit vor. „Will sie nur zuschauen, wie ein Land in Europa zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg zerstückelt wird?“ Er sei enttäuscht vom Verhalten der Europäer, habe aber „nichts anderes erwartet“. (dpa)

AUS KIEW BERNHARD CLASEN

Fünf Stunden sprachen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko am späten Donnerstagabend über einen neuen Friedensplan, den Merkel und Hollande an Russlands Präsidenten Putin am späten Freitag Nachmittag übermitteln wollten. Anschließend gaben sie keine Pressekonferenz und flogen noch am Abend nach Moskau weiter.

Weniger wortkarg war der Pressedienst des ukrainischen Präsidenten. „Die Gesprächspartner haben sich für eine friedliche Regelung des Konflikts in den Gebieten Donezk und Lugansk ausgesprochen und hoffen, dass auch Russland daran interessiert ist“, heißt es auf der Homepage des ukrainischen Präsidialamtes. Die drei Staatschefs hätten über eine Umsetzung des Minsker Abkommens als Grundlage für die Lösung des Konflikts gesprochen. Ferner habe man sich für die Beendigung der Kampfhandlungen und den Abzug ausländischer Truppen aus der Ukraine, den Rückzug schwerer Kampftechnik und die Freilassung aller Geiseln ausgesprochen.

Der Kiew-Besuch von Merkel und Hollande fiel zusammen mit dem bereits früher geplanten Besuch des US-amerikanischen Außenministers John Kerry, der wenige Stunden zuvor in Kiew eingetroffen war. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Poroschenko hatte Kerry betont, dass Russland derzeit die Hauptgefahr für die Ukraine sei. Gleichzeitig erinnerte er aber auch Poroschenko an dessen Versprechen, dem Donbass mehr Autonomie zuzugestehen. Kerry sagte Kiew einen Kredit von einer Milliarde Dollar zu. Gleichzeitig gab sich Kerry zuversichtlich hinsichtlich weiterer Zahlungen des Internationalen Währungsfonds.

Beobachter in Kiew gehen davon aus, dass der neue Friedensplan, der für die Öffentlichkeit vorerst unter Verschluss bleibt, weitgehende Autonomierechte für den Donbass enthalten wird. „Ich vermute, Merkel und Hollande haben Poroschenko nahegelegt, einer Autonomie für den Donbass zuzustimmen“, erklärte der Kiewer Politologe Alexei Rogaljew gegenüber der taz. „Dieses Zugeständnis wird dem ukrainischen Präsidenten nicht leicht gefallen sein, wird er sich doch möglicherweise in der Folge mit Autonomieforderungen anderer Regionen konfrontiert sehen“, so der Politologe weiter.

Die Äußerung von Hollande im Vorfeld des Besuchs in Kiew und Moskau, eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato sei nicht akzeptabel, dürfte der russischen Regierung entgegenkommen, fürchtet die Studentin Walja, die als Freiwillige die Truppen im Osten des Landes unterstützt.

In einer auf der Internetseite des ukrainischen Präsidenten veröffentlichten Erklärung bedankte sich Poroschenko bei Merkel und Hollande. Sie hätten mit ihrem Besuch wesentlich an dem Prozess einer Deeskalation und der Schaffung eines Friedens in der Ukraine mitgewirkt sowie deutliche Bemühungen zur Stabilisierung der Lage unternommen.

Etwas enttäuscht klang ein Interview des ukrainischen Botschafters in Polen, Andrei Deschtschizja, gegenüber dem polnischen Fernsehkanal „tvn24“. Merkel und Hollande, so der Botschafter, könnten bei den Gesprächen mit Putin eine „Roadmap“ mittragen, die für die Ukraine nicht akzeptabel sei.

Vorsichtig optimistisch über die deutsch-französische Friedensinitiative äußerte sich Denis Puschilin, der offizielle Vertreter der „Volksrepublik Donezk“ in der Kontaktgruppe. Die Reise von Hollande und Merkel nach Kiew, so der Sprecher der Separatisten, sei ein wichtiger Schritt, der zur richtigen Zeit komme. Das bisherige Scheitern der Verhandlungen, so Puschilin, sei Kiew zuzuschreiben. Er hoffe, dieser hochrangige Besuch werde auf Kiew motivierend wirken.

Mehrere Stunden hielt am Freitag ein vorübergehender Waffenstillstand in der umkämpften Stadt Debalzewo. Beide Seiten hatten sich auf diesen Feuerpause geeinigt, um zahlreiche Zivilisten aus dem umkämpften Gebiet zu evakuieren.