Zwang ist nicht relevant

Ein Hamburger Gericht verurteilt eine Frau wegen Betruges, die der Arbeitsagentur Einnahmen als Prostituierte verschwieg. Sie sagt, sie sei zur Prostitution gezwungen worden und musste den Verdienst abliefern. Das Gericht findet das irrelevant

VON ELKE SPANNER

Wer über eigenes Geld verfügt, darf keine staatlichen Leistungen beziehen. Theoretisch müsste ein Bankräuber der Arbeitsagentur (Arge) seine Beute melden, wenn er ALG II bekommt. Auch Tanja L. hätte ihre Einkünfte melden müssen. Sie arbeitete als Prostituierte – wozu sie gezwungen wurde, wie sie sagt. Die Staatsanwaltschaft hat die 30-jährige Mutter von zwei Kindern dennoch wegen Betruges angeklagt. Das Hamburger Amtsgericht verurteilte sie gestern zu fünf Monaten Haft auf Bewährung.

Prostitution gilt seit der Einführung des Prostitutionsgesetzes 2002 als Beruf. Für Tanja L. aber war die Tätigkeit kein Job wie jeder andere. Lange war sie beim Arbeitsamt als arbeitslos gemeldet, doch ein Vermittlungsangebot bekam sie nie. Irgendwann lernte sie Drago B. (Name geändert) kennen. Sie verliebte sich und ging eine Beziehung mit ihm ein. „Ein Jahr war alles gut“, sagte sie. „Dann begann mein Martyrium.“

Ihr Freund habe sie gezwungen, sich an andere Männer zu verkaufen, erzählte sie vor Gericht. Wenn sie nicht mehr wollte, habe er sie bedroht. Immer wieder rief sie die Polizei um Hilfe, wenn ein Streit eskalierte. Die Beamten hätten ihr mehrfach geraten, in ein Frauenhaus zu gehen. Im Mai 2005 ging Drago B. mit dem Messer auf sie los. Er ist dafür inzwischen strafrechtlich verurteilt worden.

Im Dezember 2005 kam Tanja L. sogar in die Obhut der Polizei. Ihre Kollegin wurde in dem Appartement im Norden Hamburgs ermordet, das die beiden sich für ihre Arbeit teilten. Aus Sorge, der Anschlag könnte ihr gegolten haben, nahm die Polizei Tanja L. ins Zeugenschutzprogramm auf. Dort flog sie zwar zwischenzeitlich raus, als die Beamten erfuhren, dass sie weiterhin Geld mit Prostitution verdiente. Später aber wurde sie wieder ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Tanja L. hatte sich bereit erklärt, gegen Leute aus der Szene auszusagen, die mit Kokain handelten oder andere Delikte begingen.

Über Monate hinweg war sie daraufhin mehrmals die Woche für ihre Vernehmung beim Landeskriminalamt (LKA). Durch ihre Aussage konnte die Polizei mehrere Strafverfahren einleiten. Offenbar hat sie beim LKA aber niemand gefragt, wovon sie und ihre beiden Kinder in der Zeit eigentlich lebten. Das offenbarte sie selbst im Laufe ihrer Aussage. Über ihr Geständnis, weiterhin in ihre Modellwohnung zu fahren, sobald die Kinder in der Schule sind, handelte sie sich das Betrugsverfahren ein. Denn von der Arge bezog sie in der Zeit 651 Euro im Monat.

„Diesen Job habe ich bestimmt nicht gewollt“, sagt Tanja L. Da sie ihren Verdienst zum größten Teil abliefern musste, hätte sie ohne das Geld der Arge nicht einmal ihre Miete bezahlen können. Der Staatsanwalt aber hält dagegen, es sei für den Vorwurf unerheblich, dass ihr der Verdienst abgenommen wurde: „Da hätten Sie sich an die Polizei wenden müssen.“ Er hält Tanja L. vor, dass sie kein Menschenhandels-Opfer sei. „Zwischen Ihnen und Drago B. bestand eine Hassliebe“, sagte er. „Das ist nicht das Problem der Arge.“

Auch das Gericht befindet, dass die Lebensumstände von Tanja L. am Strafvorwurf nichts ändern könnten. „Ich kann hier nicht widerlegen, dass Sie zur Prostitution gezwungen wurden“, sagte die Richterin in der Urteilsbegründung. „Aber ich glaube Ihnen nicht, dass sie keine Einnahmen für sich behalten durften.“ Ihren Verdienst hätte sie der Arge melden müssen. „Nur darauf kommt es hier an.“