Wissenschaft als Markt

Richard Münch will einen faireren Wettbewerb in der Forschungsförderung – und bessere Bildung

VON ANDREW JAMES JOHNSTON

Das deutsche Universitätssystem befindet sich in einem so tief greifenden Umbruch, wie es ihn seit den Sechzigerjahren nicht mehr gegeben hat. Damals hatten die Geisteswissenschaften noch kein Legitimationsproblem, und die Naturwissenschaftler sahen ihre vornehmste Aufgabe in der Grundlagenforschung. Doch dann wurde der Bildungsnotstand ausgerufen, und im Zuge des Wirtschaftswunders drängten neue gesellschaftliche Schichten an die Hochschulen.

Rolle und Wert der Universitäten begannen sich nach dem Kriterium der gesellschaftlichen Relevanz zu richten. Der Staat pumpte Geld in die Hochschulen und gründete zahlreiche Universitäten. In den Achtzigern setzte sich ein neuer Diskurs durch: Die Universitäten wurden für die Pflege des Standorts Deutschland in die Pflicht genommen und gerieten in den Strudel der Globalisierung. Gleichzeitig hörte das Universitätssystem auf zu expandieren. Es wurde seiner materiellen Basis beraubt und so zu einem der am schlechtesten finanzierten in Europa.

Schließlich hielt im Laufe der Neunzigerjahre eine neue Form des Wettbewerbs in die Universitäten Einzug. Gelder, die man ihnen entzog, wurden auf dem Umweg über Förderinstitutionen wieder in die Forschungslandschaft hineingeleitet – als sogenannte Drittmittel. Um sie müssen sich die Professorinnen und Professoren über Projektanträge erst bewerben. Ursprünglich als Ergänzungsfinanzierung für besonders wichtige Forschungsvorhaben gedacht, dienen Drittmittel heute längst zur Nebenfinanzierung der Universitäten.

Folglich bemisst sich das Ansehen von Wissenschaftlern heute immer weniger danach, ob sie gute Forschung leisten, sondern danach, wie viele Drittmittel sie einwerben. Der Wissenschaftler mutiert zum Manager. Obwohl zuerst für die Bedürfnisse der Natur- und Technikwissenschaften entworfen, wurde dieses System auch den Geistes- und Sozialwissenschaften übergestülpt. Dort schimpfen fast alle darüber und versuchen dennoch mitzumachen. Angesichts der wachsenden Zahl der Antragsteller wird es jedoch immer schwieriger, an Drittmittel zu gelangen.

Dies ist der Punkt, an dem der Bamberger Soziologe Richard Münch ansetzt. Anlass für seine detaillierte Bestandsaufnahme der bundesdeutschen Forschungsförderung ist der seit knapp zwei Jahren laufenden Exzellenzwettbewerb, den die Bundesregierung unter den Universitäten ausgerufen hat. Dabei stellt Münch den Gedanken des Wettbewerbs nicht in Frage: Es ist sein Credo, dass wissenschaftliche Kreativität und Qualität grundsätzlich der Konkurrenz entspringen. Allerdings nur, wenn der Wettbewerb offen ist und seine Steuerungsfunktion erfüllt. Dies geschieht, so Münch, wenn eine möglichst große Menge möglichst gleich großer Einheiten um die Mittel ringt. Alles andere führt zu Monopolbildung und erstickt die Kreativität.

Von diesem Axiom ausgehend, kommt er zu einem verheerenden Ergebnis: Die deutsche Wissenschaftslandschaft befindet sich in einem mörderischen Monopolisierungsprozess, bei dem eine relativ kleine Anzahl traditioneller, meist westdeutscher (vor allem aber süddeutscher) Traditionsuniversitäten und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen die Mittelvergabe dominiert und die Fördergelder unter sich aufteilt.

Dieser Prozess wird sogar von außen gefördert. Die bayerische Staatsregierung etwa dirigiert nach Kräften in die Universitätslandschaft hinein, um den Standort München möglichst groß und stark werden zu lassen. Hier, so Münch, liegt ein weiterer Fehler. Größe bedeutet nicht gute Forschung. Je größer die Forschungseinrichtung und je umfangreicher die eingeworbenen Drittmittel, desto stärker sinkt die Kreativität, die Münch an der Zahl von Publikationen und Patenten misst.

Er ist so etwas wie ein wissenschaftspolitischer Ordoliberaler und stellt dem entsprechend ein 10-Punkte-Programm zur Sicherung des Wettbewerbs auf. Dessen wichtigste Elemente: Die Amtszeiten von Verantwortungsträgern im deutschen Wissenschaftsbetrieb sollten auf allen Ebenen drastisch begrenzt werden, um die Verfestigung von Machtstrukturen zumindest zu erschweren. Ferner gelte es, die Hierarchien im deutschen Wissenschaftsbetrieb deutlich einzuebnen.

Junge Wissenschaftler müssten in die Lage versetzt werden, selbstständig zu forschen, statt genötigt zu sein, sich in ihrer kreativsten Phase in untergeordneter Stellung bei Professoren zu verdingen und ihre kostbare Arbeitskraft in das Schreiben von Drittmittelanträgen zu investieren. Schließlich sollte die dominierende Stellung der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufgehoben und eine Vielzahl von Fördereinrichtungen geschaffen werden, die miteinander genauso konkurrieren wie die potenziellen Empfänger von Drittmitteln. Anders gesagt: Nicht nur die Nachfrageseite, auch die Angebotsseite der Forschungsförderung müsste marktförmig gestaltet werden.

Münchs Studie ist so faszinierend wie bedrückend zugleich, und die meisten seiner Argumente und Analysen leuchten unmittelbar ein. Eines hat seine Untersuchung vielen anderen, nicht minder scharfsinnigen und analytischen Kritiken des gegenwärtigen Forschungsförderungssystems an möglicher Durchschlagskraft voraus: Sie ist ein unbedingtes Bekenntnis zur Wissenschaft als Markt.

Tatsächlich kann niemand Münch vorwerfen, einem veralteten Bildungsideal anzuhängen. Das mögen jene aus gutem Grund bedauern, für die das klassische deutsche Bildungsideal und seine diversen europäischen Verwandten trotz ihrer historisch manifest gewordenen Schwächen ihren Charme nicht ganz verloren haben.

Hier jedoch steckt vielleicht so etwas wie die verborgene Brillanz des Münch’schen Ansatzes. Denn wenn die von ihm angestrebte Politik zur Bewahrung wissenschaftlicher Kreativität tatsächlich Erfolg hätte, so wäre gerade Bildung in einem umfassenden und aufgeklärten Sinne vielleicht zumindest ein Nebenprodukt des offenen Wettbewerbs. Den Begriff der Kreativität diskutiert Münch nämlich an keiner Stelle. Er setzt ihn einfach voraus. Könnte es am Ende sein, dass das Konzept der Kreativität das Trojanische Pferd darstellt, mit dessen Hilfe man die Bildung wieder in den Wissenschaftsmarkt hineinschmuggeln kann?

Richard Münch: „Die akademische Elite. Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz“. edition suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, 480 Seiten, 15 €