Doppeltes Erdquaken

Konzert Am Dienstag treten die eigensinnigen Westküstenlegenden The Melvins im Bremer Lagerhaus auf – und spielen nach ihren eigenen Regeln

Von Tim Schomacker

Irgendjemand, ein Neuseeländer vermutlich, muss die Notwendigkeit gespürt haben, dem Namen der neuen neuseeländischen Stadt ein Prefix beizufügen: Christchurch hieß sie fortan, die Stadt. Der Umstand, dass im Februar dieses Jahres eben da die Erde bebte, dürfte weniger göttlichen Fügungen geschuldet sein, denn tektonischen Umständen. Das Schicksal indes wollte es, dass die Melvins just in Christchurch konzertierten, als alles wackelte. Der Tourneekalender sah für den Folgemonat Japan vor. Und so dürften die Melvins zu den wenigen Rockbands gehören, die bei einer Spielreise gleich zweimal von Erdbeben gewissermaßen miterschüttert wurden.

Am Sonnabend spielen sie im Bremer Lagerhaus. Die geologische Gesamtlage ist entspannt. Doch die Duplizität des Ereignishaften spielt auch hier eine große Rolle. Denn zu den vielen Besonderheiten der seit 1983 agierenden Melvins, die seit einigen Jahren im Quartett-Outfit antreten, gehört die zweifache Behandlung des perkussiven Instrumentariums. Geografisch im Staate Washington und musikalisch im Fahrwasser von Hardcorepunkbands wie Black Flag oder den Swans gegründet, entwickelten Gitarrist und Sänger Buzz Osbourne und der Schlagzeuger Dale Crover einen eigenwilligen Stil, der von seiner Unverkennbarkeit und Notwendigkeit ebenso lebt wie von dem Umstand, dass sie an klanglichen Kreuzungen immer in die genau andere Richtung abbiegen.

Auf ihrem zwanzigsten Studioalbum, „The Bride Screamed Murder“, das im vergangenen Jahr erschien, gibt es eine winzige Stelle, die das ganz gut illustriert: Osbourne brüllt das klischeegeronnene „One-Two-Three-Four“ ins Mikrofon, Crover antwortet mit einem akkuraten aber leisen und langsamen Klicken der Sticks. Sonst nichts. Darüber schwappt bald ein Echogesang: „Here We Go, Here We Go“. Und zwar so, wie wir das wollen. Vor einigen Jahren verluden The Melvins einmal ein Konzertpublikum, indem sie eine Dreiviertelstunde lang ausschließlich vertrackte elektronische Drones spielten – und dann einen einzigen Song.

Vielleicht ist es der Verzicht auf einen Welthit, vielleicht die Ablehnung jeglicher Inkarnation von Hoffnung, die Generationen von Rockmusikern gern angeheftet werden wie einen Orden für Verdienste im Kolonialkrieg, die die Melvins in Würde und in Ruhe älter werden ließen. Buzz Osbourne mit seinen stets afroartig abstehenden, mittlerweile deutlich angegrauten Haaren spielte in Kurt Cobains erster Band, Fecal Matter – gleiche Highschool halt. Nach 25 Jahren als Duo mit zeitweise kollaborierenden Bassisten – auf Wikipedia kann man eine hinreißende Grafik der Personalentwicklung betrachten – luden die Melvins ihre eigene Coverband dazu ein, mitzuspielen. Seit 2006 spielt Jarred Warren Bass und unterstreicht Osbournes hier hymnische, dort skandierende Stimme gesanglich. Über den zweiten Schlagzeuger, Coady Willis, sagte Crover einmal: „Er ist Linkshänder. Wir wollten sehen, wie ein gespiegeltes Drumset aussieht. Also haben wir unsere Trommeln zusammengestellt und geschaut, was passiert.“

Es passierte Ungewöhnliches. Nicht nur klanglich, sondern auch optisch bekam Crovers oft ultralangsames Metalgedresche herzerwärmende Verstärkung. Beide Schlagzeuger spielen oft ausgedehnt unisono, brechen nur kurz aus dem gemeinsamen, eigenartigen Trommelkörper aus, um den einen oder anderen Akzent zu setzen. Wenige Bands spielen so kraftvoll, so unaffektiert langsam, so stramm nach vorn, so unverbissen kratzend und kreischend wie die Melvins – nicht selten alles in ein und demselben Stück.

Zusammengehalten wird dieses Ganze von einem gänzlich unkabarettistischen Willen zu bizarren Humoresken. Dieser verhinderte zwar in der Vergangenheit den ordnungsgemäßen Ablauf des einen oder anderen Interviews. Aber das ist bei Rockmusik vielleicht ja auch nicht das Allentscheidende. „The Bride Sreamed Murder“ schließt mit einem ordentlich verhallten Protocountrystück a cappella: „I wish I was in a lonesome valley“, heißt es da. Musikalisch haben sich die Melvins ihr Tal der Guten und Gerechten beharrlich selber gegraben. Zum Ende des Stückes zählt eine Kinderstimme über ein dezentes Gitarrenfeedback hinweg – deutlich weiter als nur bis vier.

■ Dienstag, 20 Uhr, Lagerhaus