„2,6 Bürsten pro Jahr“

HYGIENE Keime, Cremes, Karies: Zähne müssen viel ertragen. Geputzt werden sie oft falsch, sagt Spezialist Lutz Laurisch. Ein Blick in unsere Mundhöhlen

■ Der Prophylaxe-Papst Laurisch, 61, hat sich auf präventive Zahnheilkunde spezialisiert, Bücher und Beiträge darüber geschrieben. Seit 1988 bietet er Prophylaxekurse in seiner Praxis in Korschenbroich an. Laurisch unterrichtet an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

INTERVIEW SEBASTIAN FISCHER

sonntaz: Herr Laurisch, wie steht es um die Mundhygiene in unserem Land?

Lutz Laurisch: Glaubt man persönlichen Umfragen, sehr gut. Bis zu 95 Prozent der Menschen geben an, sich zweimal täglich die Zähne zu putzen. Schaut man sich allerdings die Zahlen aus dem Statistischen Jahrbuch der Bundeszahnärztekammer an, sieht die Sache anders aus. Wer sich zweimal am Tag die Zähne putzt, braucht normalerweise sechs Zahnbürsten im Jahr. Tatsächlich lag der Verbrauch 2002 aber bei nur zwei Zahnbürsten. Die Zahlen von 2009 sehen schon etwas besser aus. Da waren es 2,6 Bürsten pro Kopf.

Wie schlimm ist es denn, wenn ich mal vor dem Fernseher einschlafe und nicht dazu komme, mir die Zähne zu putzen?

Wenn man das einmal vergisst, ist das nicht problematisch. Aber es gibt Leute, die putzen sich nur vor dem Frühstück die Zähne. Das ist ganz schlecht.

Warum? Es gibt doch sowieso keine Zahnbürste, die wirklich zwischen die Zähne kommt.

Es ist ein Irrglaube, zu denken, man würde sich die Zähne putzen, um Essensreste zu entfernen. Es ist der bakterielle Belag, der durch das Putzen entfernt werden muss. Der besteht unter anderem aus Bakterien, die Karies und Parodontitis verursachen. Diese Bakterien vermehren sich immer, unabhängig davon, ob ich gerade esse oder nicht. Bakterien sind Einzeller, die sich alle drei bis vier Stunden verdoppeln. Wenn man also 500.000 belagsbildende Keime im Mund hat und beim Putzen 25 Prozent davon entfernt, sind es nach wenigen Stunden wieder genauso viele.

Das heißt, wenn ich Zähne putze, entferne ich nur ein Viertel der Bakterien?

Das kommt auch auf die Gegebenheiten in Ihrer Mundhöhle und Ihre manuelle Geschicklichkeit an. Es gibt mit Sicherheit herausragende Einzelleistungen von Patienten, an deren Zähnen man so gut wie gar nichts findet. Untersuchungen zeigen aber, dass viele nur ein äußerst unklares Verständnis davon haben, wie man sich die Zähne putzt.

Wie putzt man sich die Zähne denn richtig?

Wichtig ist, mit der Bürste im Mund systematisch vorzugehen: Zahn für Zahn, außen und innen, in Kreisbewegungen vom Zahnfleisch zu den Zähnen, also von Rot nach Weiß. Anschließend sollten die Kauflächen geputzt werden. Bei einem Patienten muss ich schauen, was er kann, und das dann optimieren. Man sollte nicht einfach sagen: Das ist alles Mist, was Sie hier machen. Aber viele Menschen vernachlässigen das Zähneputzen. Das ist der entscheidende Grund, warum die professionelle Zahnreinigung als Teil der Prophylaxe durchgeführt werden muss.

Kommen Hinweise zum richtige Zähneputzen überhaupt beim Patienten an?

Die kommen beim Patienten an, werden aber nach gut vier Wochen wieder vergessen. Gerade bei der Mundhygiene fällt man schnell in alte Muster zurück. Man weiß dann zwar, wie es richtig geht, hat aber gerade keine Zeit, es richtig zu machen.

„Professionelle Zahnreinigung ist keine kosmetische Leistung, sondern medizinisch notwendig“

Also bringt die professionelle Zahnreinigung auch medizinisch gesehen etwas?

Die professionelle Zahnreinigung ist keine kosmetische, sondern eine medizinisch notwendige Leistung. Oft wird der kosmetische Effekt, dass die Zähne hinterher heller erscheinen, in den Vordergrund gerückt. Aber die professionelle Zahnreinigung ist ein wichtiger Bestandteil einer Prophylaxesitzung, genauso wie die Patientenaufklärung, die Ermittlung von individuellen Risikoparametern in der Mundhöhle und das Üben einer adäquaten Reinigungstechnik.

Warum wird die professionelle Zahnreinigung dann nicht von der Kasse bezahlt?

Mit der professionellen Zahnreinigung ist das etwas anderes als beispielsweise mit der Brustkrebsvorsorge. Die wird von der Kasse ab einem bestimmten Alter übernommen, weil der Patient keinen Einfluss auf die Krankheit hat. Die professionelle Zahnreinigung hingegen muss der Patient selbst zahlen, immerhin entscheidet die persönliche Mitarbeit zu Hause darüber, wie lange er seine Zähne erhalten kann. Die privaten Versicherungen hingegen bezahlen die professionelle Zahnreinigung inzwischen.

Kann die professionelle Zahnreinigung auch negative Folgen haben, zum Beispiel den Abrieb des Zahnschmelzes?

Nein, das ist ausgeschlossen. Ganz anders sieht es aber bei weißmachenden Zahncremes mit hohem Schleifkörperanteil aus. Die benutzt man ein Mal, bekommt das ganze Nikotin, Koffein und Teein weg und denkt: Klasse, die sind ja richtig weiß geworden. Wenn man dann weiter putzt, trägt man Zahnschmelz ab. Dadurch scheint das Zahnbein durch und die Zähne wirken gelber. Das veranlasst einen dazu, weiter zu putzen und immer mehr Zahnschmelz abzutragen. Es gibt auch weißmachende Zahncremes mit Wasserstoffperoxid. Von denen mit hohem Schleifkörperanteil ist generell abzuraten.

Wie ist es mit der Prophylaxe bei Kindern? Viele Menschen denken, Milchzähne seien nicht so wichtig, weil sie ohnehin ausfallen.

Das Gegenteil ist der Fall. Die Milchzähne sind die wichtigsten Zähne überhaupt, weil sie Platzhalter für die bleibenden Zähne sind. Nichtbehandelte Milchzähne sind ein Herd für Karieskeime, die immer wieder neu über den Mund verteilt werden. Man hat dann sehr schnell Schäden, wenn die bleibenden Zähne durchbrechen, weil die nicht vollständig ausgereift und noch nicht ausreichend gegen Bakterien geschützt sind.

Wann beginnen Sie, Eltern über solche Dinge aufzuklären?

„Bei der Mundhygiene verfällt man schnell in alte Muster. Man weiß, wie es geht, hat aber gerade keine Zeit“

Am besten fängt man da schon bei der schwangeren Mutter an, weil sie für die Beratung am empfänglichsten ist. Außerdem können durch die Ernährung der Mutter schon pränatal Geschmacksrichtungen beim Fötus programmiert werden. Nach der Geburt wird das Kind weiter geprägt. Es sieht die Ernährung seiner Eltern und übernimmt sie. Die Anreize aus der Werbung tun ab einem gewissen Alter dann ein Übriges. Hinzu kommt, dass der Mensch eine genetische Präferenz für Süßes hat. Die entsprechenden Geschmacksknospen liegen an der Zungenspitze und sind hochgradig ausgeprägt.

Sollte man seinen Kindern Süßigkeiten ganz verbieten?

Nein. Aber man soll die Süßigkeiten rationieren. Entscheidend ist nicht die Menge an aufgenommenem Zucker, sondern die Frequenz. Wenn ich eine Tafel Schokolade auf einmal esse, ist das ein Zuckerimpuls und nicht schlimm. Wenn ich nur eine halbe Tafel esse, aber über den ganzen Tag verteilt, verursacht das Karies. Man kann zweimal am Tag außerhalb der Hauptmahlzeiten Zucker essen, ohne dass man gleich davon Karies bekommt. Wenn ich hinterher die Zähne putze, ist das harmlos.

Und wenn ich sie hinterher nicht putze? Ist irgendwann alles zu spät und die Zähne sind überhaupt nicht mehr zu retten, weil sie so kariös sind?

Das ist meistens erst dann der Fall, wenn die Patienten älter werden, im Altersheim liegen und viele Medikamente nehmen, die den Speichelfluss reduzieren. Denn Speichel ist im Prinzip flüssiger Zahn, und wenn er fehlt, verlieren die Zähne immer mehr Mineralstoffe. Sie lösen sich sozusagen auf. Dazu kommt, dass die Pfleger oft mit dem Putzen der Zähne überfordert sind. In solchen Fällen ist es manchmal fast unmöglich, die Zähne zu erhalten. Man kann also auch durch die Prophylaxe seine Zähne nicht unbedingt bis an sein Lebensende erhalten. Es bleibt aber eine Tatsache, dass jemand, der noch am aktiven Leben teilnimmt, eine höhere Lebensqualität hat, wenn er mehr Zähne hat.