Filmhistorie auf dem Unterhemd

BILDER SCHICHTEN Roberto Rossellini lieben und analysieren: Vincent Dieutres Film „Viaggio nella dopo-historia“ ist ein leidenschaftliches Bekenntnis zur Filmtheorie und zum Altern von Bildern (Forum)

Der Regisseur Vincent Dieutre hat einen Termin bei einem Rechtsberater. Die Remakerechte von „Viaggio in Italia“ möchte er erwerben, die Rechte an jenem Film aus dem Jahr 1954, in dem Roberto Rossellini seine Stars Ingrid Bergman und George Sanders auf eine Italienreise schickt, während der sie eine Ehekrise auszuagieren haben. Das sei nicht so einfach, bekommt er zu hören. Dieutre plane offensichtlich eine Art persönliche Hommage an Rossellini, das Urheberrecht sei allerdings für genau diese Art Projekt kaum brauchbar; stattdessen sei es darauf ausgelegt, Rechteinhaber in die Lage zu versetzen, ihre Profite zu maximieren.

Da „Viaggio nella dopo-historia“, der Film, über den Dieutre redet, dieses Jahr im Forum Premiere feiert, darf man davon ausgehen, dass es dem Regisseur gelungen ist, die rechtlichen Probleme in den Griff zu bekommen. Aber kann man den Film tatsächlich als ein Remake bezeichnen? Oder auch nur als eine Hommage? Vielleicht greift beides zu kurz. Dieutres „Viaggio“ unterhält zu Rossellinis „Viaggio“ mindestens drei unterschiedliche Beziehungen. Zuerst ist der Film tatsächlich ein Remake, und zwar ein schwules: Wieder reist ein Ehepaar im fortgeschrittenen Beziehungsstadium durch Italien, die Ingrid-Bergman-Rolle übernimmt der Regisseur gleich selbst, George Sanders ist deutlich älter und voluminöser geworden.

Gleichzeitig jedoch hat Dieutre einen interpretierenden Essay über den Rossellini-Film gedreht: Ständig wechselt sein Film von den Reinszenierungen zu den Bildern des Originals (gelegentlich verschwimmt beides in der Ununterscheidbarkeit) und der Filmemacher beginnt, eher assoziativ als analytisch, über das ältere Werk, sowie auch allgemeiner über sein Interesse an Rossellini zu sprechen. „Viaggio in Italia“ gilt einigen in der (hauptsächlich) französischen Filmtheorie als ein Schlüsselfilm der Filmgeschichte: als jener Film, in dem das klassische Kino des Handelns, der gelingenden Bewegung in ein postklassisches des Blickens, der verhinderten Bewegung umschlägt. Dieutre schließt an diese Theorietradition an, unter anderem, indem er Gilles Deleuze’ Stimme einen Gastauftritt verschafft. Auf dieser Ebene ist der Film tatsächlich eine Hommage, nicht nur an Rossellini, sondern auch an eine historisch spezifische Form von Cinephilie.

Aber es gibt noch eine dritte Annäherung an Rossellinis Italienreise. Sie manifestiert sich zum Beispiel in den Szenen mit dem Rechtsberater. Auch diverse Filmschnipsel tauchen auf, unter anderem Fernsehaufnahmen von Straßenkämpfen zwischen Demonstranten und Polizisten. Fast schon Camp-Appeal haben zwei Szenen, in denen die Remake-Hauptdarsteller in Unterwäsche vor einer Leinwand stehen und Dialogsätze aufsagen, während hinter ihnen (und auf ihren Körpern) der Rossellinifilm projiziert wird.

Wenn ein Remake eine Form von Vergegenwärtigung ist und eine Hommage eine Flucht ins Imaginäre der Vergangenheit, dann zielt Dieutre auf ein Drittes, auf etwas, das Remake und Hommage auf jeweils unterschiedliche Art verleugnen: auf die historische Differenz, die einen Film des Jahres 2015 zwangsläufig von einem des Jahres 1954 trennt. Von dieser Differenz spricht auch die Visualität von „Viaggio nella dopo-historia“, die Art, wie Dieutre Filmmaterial offensichtlich sehr unterschiedlicher Herkunft und Qualität miteinander montiert, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, die daraus entstehenden Brüche zu kitten.

Die klaren, mit formalistischer Strenge inszenierten Remake-Szenen stehen in hartem Kontrast zu den chaotisch anmutenden dokumentarischen Passagen; und erst recht zu den Bildern aus dem Rossellini-Film, die einer schrundigen Videofassung entnommen zu sein scheinen. LUKAS FOERSTER

■ „Viaggio nella dopo-storia“, Heute, Delphi Filmpalast, 19 Uhr; 11. 2., CinemaxX 4, 21.45 Uhr; 12. 2., CineStar 8, 11 Uhr; 14. 2., Kino Arsenal, 17.30 Uhr