„Die Folgen treffen alle“

Die geplanten neuen Sicherheitsgesetze bedrohen auch die Arbeit von Journalisten. Sie könnten ihren Informanten keinen Quellenschutz mehr garantieren, sagt DJV-Sprecher Hendrik Zörner

HENDRIK ZÖRNER, 49, ist seit 2003 Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) mit Sitz in Berlin.

INTERVIEW DANIEL SCHULZ

taz: Herr Zörner, derzeit verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Online-Durchsuchung in NRW. Welches Urteil sollten sich Journalisten wünschen?

Hendrik Zörner: Die komplette Ablehnung der Online-Durchsuchung natürlich. Denn dann wäre es für Wolfgang Schäuble schwierig bis unmöglich, die Online-Durchsuchung als Bundesgesetz durchzusetzen.

Was haben Journalisten zu verbergen?

Jeder Journalist hat etwas zu verbergen. Er ist verpflichtet, die Anonymität seiner Informanten zu schützen. Und seine Recherchen sollten keine Quelle für Ermittlungsarbeit sein. Kommt die Online-Durchsuchung, besteht genau diese Gefahr.

Inwiefern?

Wir haben schon erlebt, dass staatliche Organe versucht haben, Journalisten als Quellen anzuzapfen, denn oftmals besitzen sie interessante Informationen. Stellen Sie sich vor, ein Journalist recherchiert im islamistischen Milieu. Ermittler wollen an sein Wissen und an seine Informanten herankommen. Also lassen sie heimlich ein Spähprogramm installieren, das unbemerkt Informationen von der Festplatte sendet.

Beträfe das nicht nur wenige investigative Journalisten?

Nein. Wir haben derzeit zwei aktuelle Beispiele, bei denen Lokalzeitungen von staatlicher Überwachung betroffen sind. Dabei geht es sowohl im Falle der Dresdener Morgenpost als auch im Fall der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung nicht um bundesweite Skandale, sondern um regionale oder lokale Korruption. Im Falle der Morgenpost ließ die Staatsanwaltschaft Chemnitz die Verbindungsdaten eines Reporters erheben, um an seine Quellen zu kommen. Diese Fälle zeigen, dass alle Medien und Journalisten von Schäubles neuen Sicherheitsgesetzen betroffen sein können.

Wir reden über zwei verschiedene Maßnahmen – Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung. Sind beide noch zu verhindern?

Bei der Online-Durchsuchung –der heimlichen Staatsspionage in Computern – bin ich recht zuversichtlich, dass Karlsruhe diese stoppt. Anders sieht es im Fall der Vorratsdatenspeicherung aus, nach diesem Gesetz sollen Telekommunikationsunternehmen künftig ein halbes Jahr lang speichern, wer, wann mit wem per Internet oder Telefon kommuniziert. Das beruht auf einer EU-Richtlinie. Der Bundestag muss diese in nationales Recht umsetzen. Allerdings hat der Gesetzgeber Spielräume. Und die nutzt die große Koalition nicht.

Was sollte sie tun?

Die große Koalition muss Journalisten wie Mediziner und Anwälte von der Vorratsdatenspeicherung ausnehmen. Tun sie das nicht, wird auch hier der Quellenschutz weiter ausgehöhlt. Wenn Ermittler nachsehen können, wann ein Journalist mit wem telefoniert hat, kann der seinen Quellen keine Anonymität mehr zusichern.

Bürgerrechtler sagen, die Journalisten- und Verlegerverbände protestierten nicht öffentlichkeitswirksam genug.

Unsinn. Wir haben unsere Bedenken seit langem öffentlich gemacht. Wir sitzen als Experten in den Anhörungen des Bundestages und formulieren dort sehr deutlich unsere Kritik. Die Verleger tun ebenfalls ihr Bestes.

Vorratsdatenspeicherung: Verbindungsdaten sollen sechs Monate gespeichert werden, sodass die Polizei rekonstruieren könnte, wer mit wem per Telefon, Mail oder SMS in Verbindung stand. Die Inhalte sind davon nicht betroffen. Das Gesetz soll am 1. Januar in Kraft treten.

Onlinedurchsuchung: Die Behörden hätten gern per Spähprogramm Zugriff auf Computerfestplatten Verdächtiger. Laut Bundesgerichtshof fehlt dafür die gesetzliche Grundlage. Innenminister Schäuble wollte sie durch eine Reform des Bundeskriminalamts schaffen. Die SPD macht dabei derzeit nicht mit. Sie wartet die Verhandlung über das NRW-Gesetz zu Onlinedurchsuchungen vor dem Bundesverfassungsgericht ab, die seit gestern läuft. DAS

Warum rufen Sie nicht zu Protesten auf?

Was würde das bringen? Bei der letzten Demonstration gegen die Überwachungsgesetze in Berlin gingen maximal 15.000 Menschen auf die Straße. Das Thema interessiert die Leute nicht so, wie es angemessen wäre. Mit Lobbyarbeit im Bundestag erreichen wir mehr.

Es ist doch aber auffällig, dass sich 2003 fast alle bedeutenden Zeitungen in Deutschland zu einer Kampagne gegen das Verstümmeln von Interviews zusammenfinden konnten, etwas Ähnliches bei sehr viel tiefer gehenden Einschnitten aber nicht zustande kommt.

Ich kann nur wieder fragen, was das Ergebnis dieser Kampagne war. Das Thema lief eine Woche lang in den Medien, und danach sprach nie wieder jemand darüber. Ergebnisse gab es nicht.

Warum berichten Journalisten kaum über Schäubles neue Gesetze – aus Angst davor, Partei zu ergreifen?

Es gibt in Deutschland die schlechte Tradition der vornehmen Zurückhaltung, wenn ein Thema Journalisten direkt betrifft. Man berichtet nicht gerne über die eigene Zunft. Dabei haben die Bürger das Recht, zu erfahren, was sich in ihren Medien verändert. Und egal ob ein Journalist konservativ oder linksliberal ist – er kann kein Interesse an solch massiven Einschränkungen der Pressefreiheit haben. Denn die Folgen treffen alle.