Beschämender Skandal im rechtsstaatlichen Europa

SPANIEN Ein Jahr nach dem Tod von 15 Flüchtlingen vor der Exklave Ceuta gibt es keinerlei Aufklärung

AUS MADRID REINER WANDLER

Vor gut einem Jahr, am 6. Februar, versuchen Dutzende Flüchtlinge, schwimmend von Marokko aus die spanische Exklave Ceuta zu erreichen. Die Guardia Civil schießt mit Gummigeschossen und Tränengas. Schreie, Panik. Die Bilanz: 15 Tote. Die Schüsse sind bislang ungesühnt. Noch immer ist niemand zur Rechenschaft gezogen worden. Kein einziger Polizeibeamter wurde vernommen.

Der spanische Innenminister Jorge Fernández Díaz weist bis heute jede Verantwortung für das skandalöse Vorgehen von sich. Und das, obwohl Amateurfilmaufnahmen klar zeigen, was an jenem Morgen geschah. Insgesamt 250 Flüchtlinge hatten versucht, die Grenze zu stürmen, viele von ihnen schwimmend. Einigen gelang trotz Beschuss mit Gummigeschossen und Tränengas der Weg an den spanischen Strand gleich hinter dem Grenzzaun. Sie wurden sofort wieder abgeschoben. „Heiße Ausweisung“ nennen die Spanier das. Eine Praxis, die eigentlich gesetzlich verboten ist.

Es sind Flüchtlingshilfsorganisationen, die sich auf die Suche nach Überlebenden machten und deren Aussagen protokollierten. „Viele von uns konnten nicht schwimmen“, erklärt ein junger Mann von der Elfenbeinküste, der weiterhin unweit des Grenzzauns im Wald versteckt lebt. Die Flüchtlinge hielten sich nur dank selbst gebauter Auftriebskörper über Wasser. Als sie Männer am Strand sahen, dachten sie, es sei „das Rote Kreuz oder die Polizei, die uns helfen wollen“. Doch weit gefehlt. „Sie begannen auf uns zu schießen. Nicht um uns zu erschrecken, sondern um uns zu vertreiben.“

Der Sturm auf den Zaun ist einer der letzten Wege nach Europa, der ohne Hilfe von Dritten möglich ist. Es ist der Weg für die Ärmsten der Armen. Nur rund 10 Prozent der Flüchtlinge kamen im Jahr 2014 über Ceuta und Melilla. Und davon wiederum kletterte nur ein Bruchteil über den Zaun. Die meisten reisten mit falschen Papieren ein. Dennoch wurden die Zäune in Ceuta und Melilla zum Symbol der Außengrenze der EU. 72 Millionen Euro wurden in den vergangenen neun Jahren in die Grenzanlage investiert. Sie wurde auf 6 Meter erhöht, Natodraht wurde angebracht, ein zweiter Zaun errichtet. Dazwischen installierte man ein Gewirr aus Stahlseilen, das es erschwert, von einem Zaun zum nächsten zu kommen.