Spielen, um anzukommen

Ein „echtes Erzeugnis Ostlondons“ nennt Alexander John Holmes sein Soloalbum „The King Of The New Electric Hi-Life“, das Westafrikanisches mit angloamerikanischem Folk, Dub-Effekten und Mikro-Elektronika verbindet. Porträt eines Reisenden

VON CHRISTOPH BRAUN

Alexander Holmes spielt sein Leben, so kommt es einem vor. Wenn er ganz im Stil seiner kongolesischen Freunde mit Badelatschen und einem den Oberkörper aufpumpenden Ballonhemd auftaucht, dann ist das nicht einfach ein weißer Junge, der einen auf coolen Schwarzen macht. Vielmehr scheint der Moustache-Träger und Gitarrist damit seiner Band Les Beaux Gosses de Berlin (Die schönen Jungens von Berlin) eher lässig Respekt zu zollen. Mit leiser Stimme erzählt er aus seinem Leben, das sich teilweise unter ziemlich widrigen sozialen Umständen abgespielt hat. Doch selbst bei den dunkelsten Kapiteln aus seiner Ostlondoner Zeit bleibt sein Gesicht erhaben über das Erzählte. Ob der Mittdreißiger gerade tanzt, Gitarre spielt oder von in Berlin kaum vorstellbaren Wohnblöcken erzählt, der Mann vom untersten Rand der englischen Arbeiterklasse wirkt immer wie ein Aristokrat.

Insofern geht es schon in Ordnung, wenn A. J. Holmes als ein weißer, in Berlin lebender Londoner sich im Titel seines Albums als „The King Of“ Irgendetwas bezeichnet. Nennt er sich allerdings den „King Of The New Electric Hi-Life“, dann ist das einer Nachfrage wert. „Nun, ‚The New Electric Hi-Life‘ habe ich ja selbst erfunden“, erklärt er. „Es ist eine Mischung aus Hi-Life und Electronic Pop, und niemand außer mir spielt diese Musik. Also bin ich auch ihr König – und außerdem ist es im Hi-Life gang und gäbe, sich als ‚King‘ zu bezeichnen“, sagt der Mann mit den vielen blassen Sommersprossen.

Er kam in den frühen Siebzigern in Ostlondon zur Welt und wuchs in Sozialwohnungsbauten in Barking auf, die zu der Zeit die größten in ganz England waren. Als die nahe liegende Ford-Fabrik schloss, lebte der Junge im Wohnviertel mit der höchsten Arbeitslosenquote des Landes. Als so ziemlich einziger Weißer hatte er es nicht gerade leicht unter seinen Altersgenossen, deren Familien aus den ehemaligen Kolonien Großbritanniens emigriert waren – aus der Karibik, aus Afrika. Wovon sein Vater lebte, das will er lieber nicht veröffentlicht wissen, doch immerhin hatte die Mutter einen Job an der Supermarkt-Kasse.

„Aus diesen furchtbaren Lebensumständen träumst du dir einfach deinen Weg heraus“, kommentiert Holmes den Umstand, dass viele Popgrößen ja gerade aus diesem Osten Londons aufgebrochen sind und Pop mit ihren Träumen neuen Sauerstoff zugeführt haben. Von hier aus kam Reggae nach Europa, später Drum’n’Bass und heute Dubstep. Ein glücklicher Umstand verhalf Holmes dazu, dass es beim Träumen nicht blieb. „Unser Nachbar in Barking war Folo Graff, der bei dem in Sierra Leone sehr bekannten S. E. Rogie Gitarre gespielt hatte. Er gab mir Unterricht.“ So lernte Holmes das Gitarrespielen bei einem profilierten Hi-Life-Musiker, der Sierra Leone in den Siebzigerjahren während des Bürgerkrieges verlassen musste.

Schon Hi-Life, so erzählt Holmes spürbar von einem seiner Lieblingsthemen, ist eine durch und durch hybride Musik, entstanden in den 1920er-Jahren. Sie wurde zunächst von den Einwohnern Sierra Leones gespielt – allerdings auf Partys der britischen Kolonialherren. Schnell wurde sie auch in der schwarzen Bevölkerung populär und zählt bis heute zu den beliebtesten Musikstilen Westafrikas. In den 1930ern bereits erhielt sie ihr heute noch charakteristisches Fundament, als die bis dahin dominierenden Bläser-Gruppen von Gitarren-Kaskaden abgelöst wurden. Bis Hi-Life schließlich in der Mutation des „New Electric Hi-Life“ in Berlin ankam, ist die Geschichte des Reisens und der Mutationen also ganz schön lang.

Auch Holmes selbst ist Emigrant. Ganz eindeutig benennt er in seinem eher schmallippigen Upper- denn Working-Class-Englisch die „Gewalt in meiner Ostlondoner Nachbarschaft“ als den Grund, wegzuziehen. „Ich hatte keine Lust mehr, fast jeden Tag angemacht und regelmäßig meines Geldes beraubt zu werden“, beschreibt er die Motivation, nach Berlin zu gehen. „Das Schlimmste ist die geistige Verarmung, die durch das Fehlen jeglicher Erziehungsinstanzen entstanden ist. In dieser Beziehung gibt es in Berlin nichts, was mit Ostlondon vergleichbar wäre.“

Auf „The King Of The New Electric Hi-Life“ spielt Holmes Balladen und beatlastige Neo-Hi-Life-Songs. Hier erzählt er zu Chorus-Gitarre und Offbeat-Rhythmus zunächst einmal, wie er zum Hi-Life kam und welche Orte der Welt er schon besucht hat. Es folgt eine Lobpreisung der Bezirke Berlins, jener Stadt, mit der er sich so lange schwer getan hat – beeindruckende Bässe tönen fanfarenhaft dazu. Neben Atmosphären kreierenden Folk-Liedern zu westafrikanischer Polyrhthmik gibt es mit „For Export Only“ einen pumpenden Beat für die Tanzfläche, dessen Melodieführung und verwirrendes Arrangement an Holmes’ Londoner Band They Came From The Stars … erinnert.

Zudem spielt A. J. Holmes inzwischen Gitarre bei Les Beaux Gosses de Berlin, einer kongolesischen Rumba-Band. Zum ersten Mal fühlt er sich in Berlin zu Hause. Als er 2002 hier ankam, wollte er eigentlich wieder weg – aber dann lief ihm erst seine künstlerische Partnerin Anne Laplantine über den Weg, dann ein Girlfriend. Nun die Band, deren Proben zu Zusammenkünften der afrikanischen Gemeinschaft im Wedding führen. „Das ist mehr, als zusammen proben und spielen: Wir essen zusammen. Das ist meine Familie.“

„The King Of The New Electric Hi-Life“ von A. J. Holmes ist bei Pingipung/ Kompakt erschienen. Record Release Party: 12. 10., 22 Uhr, Bang Bang Club. Mit A. J. Holmes, Les Beaux Gosses De Berlin, DJs Eric Soki und Armin Engel