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„Kampfwort Lügenpresse“

RADIO-DEBATTE Ob die Medien das Vertrauen verlieren, debattieren Chefredakteure und Experten

Michael Nagel

■ 64, forscht und lehrt an der Universität Bremen, Institut Deutsche Presseforschung, mit den Schwerpunkten deutsche Pressegeschichte sowie deutsch-jüdische Presse.

taz: Herr Nagel, wie stark lügt die taz?

Das kann ich nur schwer beurteilen, da ich die taz eher sporadisch lese. Ich würde allerdings sagen, dass sie nicht lügt. Lügen ist eine bewusste Falschaussage. Es gibt zwar journalistisch mehr oder weniger gelungene Texte, aber allgemein sind das keine Lügen.

Aktuell mehrt sich der Vorwurf einer „Lügenpresse“. Aber ist das eigentlich neu?

Nein, als Kampfwort wird der Begriff Lügenpresse schon seit dem 19. Jahrhundert verwendet. Die Deutschen nutzten ihn im Ersten Weltkrieg zur propagandistischen Abwehr. Auch in der Weimarer Republik wurde er, besonders von den Nazis, massiv verwendet. Das zog sich dann bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Lügenpresse scheint das Schlagwort derjenigen zu sein, die sich selbst beim Lügen nicht ertappen lassen wollen.

Ist Objektivität in der Berichterstattung überhaupt möglich?

Es gibt keine hundertprozentige Objektivität, da Menschen die Berichterstattung machen und die kommen mit unterschiedlichen Hintergründen. Außerdem ist auch der Leser subjektiv. Es ist ausreichend, wenn die Bemühungen um Objektivität erkennbar sind. Jeder Leser muss wissen, woran er ist.

Gibt es auch eine tatsächliche Vertrauenskrise?

Wahrscheinlich schon. Es gibt eine Studie von 2009, in der Vertrauenseinbußen ziemlich deutlich erkennbar sind. Zwar misstrauen nicht alle den Medien, aber ein bedeutender Teil der Bevölkerung tut dies. Eine 2014 veröffentlichte Studie zeigt etwa, dass 30 Prozent der Bevölkerung skeptisch gegenüber der Berichterstattung über die Ukraine-Krise sind. Davon sind aber 60 Prozent Wähler der Linken oder der AfD. Es wirkt so, dass diejenigen, die eine exponierte politische Einstellung haben, nach rechts oder links, besonders misstrauisch im Hinblick auf die Medien sind.

Was können die Medien gegen den Vertrauensverlust tun?

Sie sollten weiterhin kritisch und selbstkritisch berichten und vor allem nicht versuchen, es allen recht zu machen. Eine Zeitung etwa hat eine Linie, die sie nicht aufgeben sollte, da sie sonst ins Schlingern geraten könnte. Die Medien sollten anspruchsvoll bleiben und sich nicht in Richtung Boulevardmedien wenden. Wenn sie weiterhin kritisch und auf hohem Niveau berichten, sind sie vertrauenswürdig.

Interview: Jördis Früchtenicht

18.05 Uhr, Live-Sendung aus der Bürgerschaft, Nordwestradio UKW Bremen 88,3 und Bremerhaven 95,4 Mhz

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