Über alle Grenzen

Zum 18. Mal bringen die Lesbisch-Schwulen Filmtage diese Woche die Welt des queeren Kinos auf Hamburger Leinwände. Schwerpunkte beschäftigen sich mit Migration und dem queeren Taiwan

Was 1989 mit einem Seminar zum Thema „Homosexualität im Film“ begann, hat sich längst zum drittgrößten Filmfest in der Stadt gemausert. Zum 18. Mal finden diese Woche die Lesbisch-Schwulen Filmtage (LSF) statt. Rund 150 kurze und lange Streifen des internationalen queeren Kinos flimmern sechs Tage lang über die Leinwände im Metropolis, Streit’s, Passage- und Studio-Kino und wetteifern um die sechs vom Publikum vergebenen Preise für die beliebtesten Kurzfilme in den Kategorien „schwul“, „lesbisch“ und „transgender“, den besten europäischen und den besten internationalen Langfilm sowie den besten deutschen Nachwuchs-Film.

Eröffnet werden die LSF am Dienstag im Streit’s mit Angelina Maccarones Raodmovie „Vivere“. Erzählt wird die Geschichte dreier Frauen, der zwei ungleichen Schwestern Francesca und Antonietta und der geheimnisvollen Gerlinde, deren Wege sich immer wieder verlieren und kreuzen. Denn eins vereint die drei bei allen Differenzen in dieser außergewöhnlichen Weihnachtsnacht: Sie sind verletzte Seelen mit ungewisser Zukunft, die das Leben herausfordern, um es schließlich gemeinsam neu zu entdecken.

Den „Hit in der Mitte“ liefert dieses Jahr der britische Spielfilm „Out at the Wedding“ von Lee Friedlander. Die Verwicklungen beginnen in der romantischen Komödie mit queerem Twist mit einem Heiratsantrag voller Tränen. Denn Alex glaubt, ihre Südstaaten-Familie würde den nicht weißen und auch noch jüdischen Dana nie akzeptieren. Deshalb hat sie ihm gegenüber immer den Tod ihrer Familie behauptet, der Familie gegenüber gab sie sich als Single aus. Doch auf der Hochzeit der jüngeren Schwester wird Alex plötzlich irrtümlich als Lesbe geoutet – und spielt mit. Was natürlich mäßig gut gelingt und Alex allerlei absurde Anstrengungen abverlangt, um das Lügengebäude nicht zum Einsturz zu bringen.

Im Fokus stehen dieses Jahr drei Schwerpunkte. Zum einen beschäftigen sich die LSF mit Migration, unterbezahlter Arbeit und rassistischer Diskriminierung. Denn queere Politiken erschöpfen sich nicht in der Einforderung von Rechten für Schwule, Lesben und Transgender, sondern verstehen sich als gesamtgesellschaftliche Kritik. Teil dieses Programmschwerpunktes ist auch der diesjährige Abschlussfilm. „Paper Dolls“ des israelischen Regisseurs Tomer Heymann begleitet die philippinischen Darstellerinnen der gleichnamigen Drag-Show, die am Wochenende durch die Tel Aviver Szeneclubs ziehen. Unter der Woche arbeiten die Schwulen und Transgender als Pflegekräfte für orthodoxe Jüdinnen und Juden. „Paper Dolls“ berichtet von der schweren Arbeit, von rassistischen und transphoben Vorurteilen, vom Heimweh. Deutlich werden aber auch der offensichtliche Spaß der Porträtierten am Performen und die relative Freiheit, die sie in Israel genießen. So schafft Heymann ein eindringliches Bild von der Situation Arbeitsmigrierender und setzt sich zugleich aus einer ungewöhnlichen Perspektive mit dem Thema Transgender auseinander.

Ein zweiter Schwerpunkt widmet sich einer der wichtigsten Filmemacherinnen des queeren Kinos. Unter dem Titel „Rosen für Greta Schiller“ präsentieren die LSF drei Filme der Regisseurin: Der Klassiker „Paris was a Woman“ ist ein Porträt des berühmten Paares Gertrude Stein und Alice B. Toklas – die beiden wären dieses Jahr 100 Jahre zusammengewesen. Zu sehen ist auch die Jazz-Dokumentation „International Sweethearts of Rhythm“, die die Geschichte schwarzer und weißer Frauen erzählt, die zusammen in einer Big Band spielen. „Tiny and Ruby: Hell Divin’ Women“ schließlich berichtet von den 40 Jahren Beziehung, die die Trompeterin Ruby mit ihrer Lebensgefährtin verbracht hat. Bei allen Vorführungen wird Greta Schiller anwesend sein.

Mit drei Filmen widmet sich der dritte Schwerpunkt dem taiwanesischen queeren Kino. Der Inselstaat ist im asiatischen Raum Vorreiter in Sachen Rechte für Homosexuelle. Eine Entwicklung, die sich auch in der queeren Filmkultur niederschlägt (siehe taz vom 9. Oktober).

Auch jenseits des Spielfilms lässt sich auf den LSF einiges entdecken. Die bahnbrechende US-amerikanische Doku „Red Without Blue“ etwa porträtiert künstlerisch ambitioniert und voller Respekt die Zwillinge Mark und Claire Farley. Geboren als Mark und Alexander, verlebten beide eine Musterkindheit nebst liebender Eltern, Bilderbuchurlaub und Zweithaus am See. Doch die Eltern trennen sich, Mark und Alex entdecken, dass sie schwul sind und versuchen gemeinsam Suizid zu begehen. Heute heißt Alex Claire und lebt als Frau in New York, Mark studiert Kunst in San Francisco. „Sie wird immer meine andere Hälfte sein“, sagt er heute über die Schwester. Ein Film, der Begriffe von Selbstheit und sexueller Identität zum Wanken bringt.

ROBERT MATTHIES

Di, 16. 10.–So, 21. 10. im Metropolis, Passage, Streit’s und Studio-Kino; Programm: www.lsf-hamburg.de