Ohne Strom am Strom

Mit der Dampflok entlang der Elbe. Nur noch dieses Wochenende fährt auf den Gleisen der Hafenbahn Wilhelmsburg die alte Lokomotive der Dampflokfreunde Salzwedel. Die historische Rundfahrt durch die Geschichte des Hamburger Hafens bietet ungewöhnliche Einblicke

Ein kurzer Ruck geht durch den Wagon als der Zug quietschend zum Stehen kommt. Es riecht nach Kohle. Kleine Rußteilchen landen sanft auf der Kleidung. Vorne schlägt die Pumpe der gewaltigen Dampflok im unregelmäßigen Takt. Wasser spritzt aus dem Kessel auf die Schienen. Direkt über den Gleisen schwebt die Köhlbrandbrücke auf ihren mächtigen grauen Pfeilern. Über die Brücke fahren täglich tausende Autos und LKW, doch aus diesem Blickwinkel kennt wohl kaum jemand das Hamburger Wahrzeichen.

Neue Perspektiven zu eröffnen und ungewöhnliche Einblicke auf den Hafen, die Quartiere und die Menschen, die hier leben, zu eröffnen ist das Ziel der Organisatoren dieser Zeitreise. Der Hafen als lebendiger Teil Hamburger Geschichte jenseits von Landungsbrücken und Hafen-City. Sonderzüge fahren auf den historischen Gleisen der Hafenbahn im Rahmen des Kunst & Kultursommers 2007 der Internationalen Bauausstellung (IBA). Schienenbusse, AKN-Triebwagen oder historische Lokomotiven mit alten Wagons führen den Mitfahrer durch die alte und neue Geschichte des Hafens und der Elbinsel Wilhelmsburg. Keine Veranstaltung nur für Eisenbahnfreunde. Die historischen Zusammenhänge stehen im Mittelpunkt. Rolf Kellner gehört zu den Initiatoren der Rundfahrten. Schon als Kind stromerte er durch diese Anlagen. „Der Hafen verändert sich rasend schnell. Dadurch heißt es permanent Abschied von gewachsenen Strukturen nehmen“, sagt Kellner. „Je stärker der Hafen wächst und desto mehr Material bewegt wird, um so schneller geht seine Nähe zu den Menschen verloren.“ Hier unter der Köhlbrandbrücke standen früher noch Wohnhäuser. Die kleine Siedlung Neuhof und die Bewohner mussten Anfang der 70er Jahre der Verbindung zwischen Hafen und der Autobahn A 7 weichen. Heute verirrt sich kaum noch jemand in diese Gegend. Industrieanlagen haben den Platz eingenommen. Hafenindustrie heißt heute aber nicht mehr Packer, Stapler und eine Unzahl von Tagelöhnern auf den Anlagen, sondern vor allem hoch entwickelte Technologie. Die Menschen haben sich weitgehend zurückziehen müssen.

Auch „Klein Warschau“ auf dem Reiherstieg-Gelände ist nur noch Geschichte. Rund um die Bonifatiuskirche hatten sich Ende des 19. Jahrhunderts polnische Arbeiter angesiedelt, die in den unzähligen Schuppen, an den Kais oder an Bord ihr Auskommen fanden. Heute gibt es wenig Bedarf an händischer Arbeit. Wenige, aber dafür qualifizierte Spezialisten, wie Containerbrückenfahrer und Angestellte der Logistikunternehmen, erledigen die Arbeit, bei der früher Hunderte für das Stückgut nötig waren. Dabei ist es noch nicht lange her, dass der NDR am Abend mitteilte, dass sich etwa am Kamerunkai 300 Packer für die Frühschicht melden sollen.

Behäbig setzt sich der Zug wieder in Bewegung, erschließt sich mühsam die Elbinsel Wilhelmsburg zwischen Norder- und Süderelbe, die größte Flussinsel Europas. Bevölkerungsgruppen aus mindestens 18 Nationen sind hier zu Hause. Neben türkischstämmigen Menschen sind hier vor allem Afghanen gelandet, die vor den Kriegen in ihrer Heimat geflohen sind. Wie wird sich dieser Stadtteil entwickeln, wenn Hamburg über die Elbe springt? Was bringen die Internationale Gartenschau und die Internationale Bauausstellung für das Projektgebiet Wilhelmsburg, die für 2013 für geplant sind? Rolf Kellner beschäftigt sich intensiv mit der Stadtteilentwicklung. Ihm macht das Tempo der Hafenentwicklung Angst. Die Hafen-City wächst seiner Ansicht nach viel zu schnell. Es gibt keine Lücken für eine kommende Entwicklung, eine sukzessive Entfaltung ist unmöglich. Er hofft, dass dem gewachsenen Wilhelmsburg ein ähnliches Schicksal erspart bleibt. Dieser lebendige Teil der Hansestadt hat viel zu bieten. Zwischen dem Containerhafen im Westen und den Industriegebieten im Osten habe sich kulturelle Vielfalt und Lebensqualität in Stadtnähe etabliert, die es zu schützen und zu entwickeln gelte. Daher setzt er sich für Projekte wie die Hafenbahn ein. „Wer diese Orte kennenlernt, dem sind sie nicht mehr egal, der wird auch für deren Entwicklung kämpfen“, sagt er.

Die Industrialisierung Wilhelmsburgs ist untrennbar mit dem Bau der Eisenbahn über die Elbbrücken im Jahr 1872 verbunden. Damals entstand ein dichtes Gleisnetz, das die Hamburger Hafenbahn von der Wilhelmsburger Industriebahn übernommen hat.

Die Dampflok der ehemaligen Deutschen Reichsbahn, noch bis 1986 in DDR-Diensten und nun in Händen der Dampflokfreunde Salzwedel, zerrt die holzbestuhlten Passagierwagons zwischen gigantischen Containerstapeln hindurch: eins der 16 Lager für leere Transportbehälter, die sich wegen des Importüberschusses im Hafen stauen. Platzmangel ist eines der dringlichsten Probleme der Hafenwirtschaft. Ehemalige Hafenbecken werden daher mit Sand aufgefüllt und neue angelegt.

Am Schuppen 50 legt der Zug eine Pause ein. Hier wächst in einer der letzten Lagerhallen aus der Kaiserzeit ein Museum für die Geschichte des Hafens. Es riecht nach Gewürzen. Die Gäste des Sonderzugs schlendern über den Zementboden und begucken sich Fässer, Hafenmodelle und Ausrüstung aus vergangener Zeit. Sie können hier erfahren, was ein Tallymann oder ein Waterclerk ist.

Der lange, gellende Pfiff der alten Lokomotive gibt das Signal zum Aufbruch. Gemächlich geht es zurück nach Harburg. Zugewachsene Gleise mit Birken, große Brachflächen und alte Schuppen in der Abendsonne. Der Hafen hat sich schon immer verändert, aber die Romantik ist doch geblieben. JAN WEHBERG

Die Touren mit der Hafenbahn starten am Samstag und Sonntag jeweils um 9, 12 und 15 Uhr mit einer Barkassenfahrt ab Landungsbrücken. Restkarten für 12,-/8,- Euro sind am Zug erhältlich (Sonntag Mittag ausgebucht). Infos: www.iba-bahn.de