Die fiese Hermeneutik der Einsamkeit

Bei Wettkämpfen in der Electronic Sports League (ESL) können Freunde von Computerspielen den Profis bei der Arbeit zusehen. Vor allem der verrufene Ego-Shooter Counter-Strike ist für Laien spannend: Je fünf Jungs treten gegeneinander an, um sich gegenseitig als Polizisten und Terroristen zu jagen

VON JESSICA RICCÒ

Hamburg an einem Freitagabend, der FC Bayern München tritt gegen den 1. FC Kaiserslautern an. Von einem gut gefüllten Saal des CCH aus schauen etwa 2.000 Jungs zwischen 16 und 20 zu. Still, konzentriert und ohne Bier. Das Spiel, das auf der Leinwand ausgetragen wird, findet in Wirklichkeit nur zwischen Dennis und Daniel Schellhase statt. Die Zwillingsbrüder sind bekannt als die „FIFA-Twins“ und sowas wie die besten Fußballer der Welt – in einem Computerspiel. Dort heißen sie „hero“ und „sty!a“ und verdienen sich wie die wahren Profis mit Spielen und Werbeverträgen mit Siemens und Intel zwei goldene Nasen.

Gedämpfte Atmosphäre

Die Atmosphäre bei einem solchen Spiel hat man sich jedoch reichlich gedämpfter als in einer AOL Arena vorzustellen. „Wer gewinnt, ist im Grunde halb so wichtig,“ sagt Tom. „Man kann sich bei den beiden aber viel abgucken, darum geht’s.“ Tom ist 17 und heißt eigentlich ganz anders. Da seine Mutter aber empört wäre, ihren Sohn auch an einem Freitagabend im Kreise von Counter-Strike-Spielern zu wissen, wählt er die Anonymität.

Vermutlich steht seine Mutter nicht allein da: Da das Spiel erst ab 16 erlaubt ist, mussten die Türsteher etwa jeden zehnten Besucher wieder nach Hause schicken. Dabei ist das umstrittene Ego-Shooter-Spiel die Hauptattraktion der ESL Pro Series. Während es bei den beiden anderen Programmpunkten FIFA und Warcraft 3 eher um einen Lehrgang in perfektionistischem Spielen geht, ist Counter Strike auch für Laien spannend: Je fünf Jungs treten als Clan gegeneinander an, um sich gegenseitig als Polizisten und Terroristen zu jagen. „Da die Clans während des Spiels miteinander reden, sitzen sie jedoch in unterschiedlichen Räumen,“ erklärt Pressesprecher Jens Hilgers. In anderen Worten: Das Publikum sieht lediglich eine Übertragung des Bildschirmgemetzels.

Ganz vereinzelt trifft man auch ein paar Mädchen, zumeist als Mitbringsel eines Spielers. „Im Schnitt spielt mein Schatz sechs Stunden am Tag Counter-Strike,“ erzählt Silke, 18, leicht genervt. „Nach der Schule, aber er kann das eben ziemlich gut.“ Ihren Schatz direkt in ein Gespräch zu verwickeln ist schwierig, denn kaum hat er die Stände der Sponsoren entdeckt, taucht er vor einer der Konsolen ab. „Schatz, da ist eine von der Presse, die will dich sprechen.“ Keine Reaktion. Die Spiele hier sind noch nicht mal auf dem Markt und schon hat ihr Suchtpotenzial Schatz eingefangen. Silke versucht es mit zärtlichem Ohrknabbern, erreicht damit aber nur von Schatzis Hand weggeschoben zu werden.

Exzessives Computerspielen ist eine fiese Hermeneutik der Einsamkeit. Es ist nicht nur die viele Zeit, die mit den Spielen draufgeht und damit nicht mehr für frauenanziehende Freizeitgestaltung wie Garagenbands und „Ich werd Regisseur“-Pläne Platz lässt. Es ist die Bequemlichkeit, die Parallelwelten mit sich bringen: Wer sich tagtäglich als Ork durch World of Warcraft bewegt, sieht irgendwann auch wie einer aus, spricht in Rätseln und entrückt der realen Welt damit Stück für Stück.

Aber es gibt auch das genaue Gegenteil. Antonio Daniloski ist einer, der innerhalb von Counter-Strike sehr schnell und sehr viel töten kann und an besagtem Abend den bisherigen Tabellenführer alternate attax mit 16 : 9 und seinem Clan mousesports nach Hause schickte. Amokläuferwitze findet er doof. „Es geht bei den Killer-Spielen nicht einfach ums töten,“ sagt der 17-jährige Hamburger. „Es geht um Strategie und Teamplay.“ Durch Sponsoren verdient Antonio mit dem Spielen Geld, nächste Woche fliegt er für seinen Clan zur Weltmeisterschaft nach Los Angeles. „Noch bin ich jung, da geht das.“ Und auf die ungestellte Frage nach dem Gewaltpotenzial der Spiele fügt er hinzu „Wenn ich Probleme habe, berede ich das übrigens mit meinen Mates.“

Bizarre Unterhaltungen

So normal Antonio und seine Mates ohne Computer wirken, so bizarr sind ihre Unterhaltungen während des Spiels: Jeder redet, niemand hört zu. Abgeschirmt vom gegnerischen Team sitzen die Fünf in einem Kellerraum des CCH, das blaue Bildschirmlicht flackert und stünden keine Sponsorentafeln im Hintergrund, wäre es eine normale LAN-Party: Still und todlangweilig, wenn man nicht mitspielt. „I missed my shot.“ „Kommst du mit runter?“ „Ich bin auch tot.“ „Geflasht, Alter!“ „Egal. Bisschen krass.“ Als sei ein ausgesprochener Satz ein Beweis dafür, dass man nicht allein im Spiel ist.

So leise es im Keller auch ist, so lustig und laut ist es an diesem Abend an einem anderen Fleck im CCH: Auf dem Flur steht ein Kickertisch an dem laut gezockt wird. Die Frauenquote liegt bei 50 Prozent, man trinkt Holsten und überlegt später noch in die Schanze zu gehen. Oder Wii zu spielen, die Konsole bei der man sich auch mal bewegen kann. Kein Grund zur Sorge also, die jungen Orks sind nur eine Phase.