Chinesische Mauer

FIREWALL Über VPN-Tunnel konnten Internetnutzer in China bisher die Sperren der chinesischen Zensoren umgehen. Doch nun sind auch diese Verbindungen blockiert – und Facebook und Twitter nicht mehr abrufbar

AUS PEKING FELIX LEE

Twitter ist in China gesperrt. Auch Facebook, Flickr und Instagram sowie die Webseiten der New York Times sind blockiert. Wer in China ein Youtube-Video öffnen will, muss ewig warten. Seit nunmehr einem halben Jahr haben die chinesischen Zensurbehörden auch den Zugang zu den meisten Google-Diensten erschwert. An manchen Tagen öffnen sich die Seiten sehr langsam, an einigen überhaupt nicht. Auch hier blockiert Chinas große Firewall, die staatliche Internetsperre, den Abruf.

Abhilfe haben bislang sogenannte Virtual Privat Network-Verbindungen (VPN) geschaffen. Dabei handelt es sich um zumeist kostenpflichtige Software aus dem Ausland, über die eine verschlüsselte Verbindung zu einem ausländischen Server hergestellt wird. Die Anfragen an Facebook und Twitter kommen nicht mehr über einen chinesischen, also überwachten Server, sondern über einen im Ausland. Nun haben die chinesischen Zensurbehörden jedoch auch diese Verbindungen gekappt.

90 Millionen VPN-Nutzer

Große VPN-Anbieter haben Mitte Januar berichtet, dass ihre Server von China aus nicht mehr zu erreichen sind. Vor allem iPhone- und iPad-Nutzer klagen, dass sie trotz VPN-Zugang keine Verbindung zu Facebook oder Twitter aufbauen können. „Die Great Firewall blockt die VPN-Protokolle in Echtzeit“, schreibt der VPN-Dienstleister Astrill seinen Kunden. Auch der Dienst Golden Frog berichtet von Schwierigkeiten. „Wir arbeiten aktiv an Lösungen, um Chinas Netzstörungen zu umgehen“, heißt es.

Tunneldienste braucht in China jeder, der auf Webseiten von Facebook oder der New York Times zugreifen möchte. Nicht nur internationale Journalisten und Ausländer nutzen sie. Die Marktforscher von GlobalWebIndex schätzen die Zahl der VPN-Nutzer in der Volksrepublik auf über 90 Millionen Menschen. Den chinesischen Zensurbehörden war es zwar auch vorher technisch möglich, VPN-Zugänge zu blockieren. Doch bislang schien der chinesische Staat ein Interesse daran zu haben, dass zumindest bestimmte Kreise sich international vernetzen können. An Universitäten, in Unternehmen und sogar bei Staatsbehörden war die Nutzung der Tunneldienste üblich.

Nun scheint aber ein anderer Wind zu wehen. „Das Land muss Wege finden, um die Sicherheit im Internet zu wahren“, rechtfertigt Wen Ku, Direktor für Telekommunikation im Ministerium für Industrie und Information, die massive Störung der Tunneldienste. Die chinesische Führung hat in den vergangenen Monaten bereits mehrfach vor „ausländischen Kräften“ gewarnt, die übers Internet versuchten, in China Unruhe zu stiften.

Die New York Times zitiert anonym einen chinesischen Internetexperten, der die Blockade von VPN-Diensten denn auch für den „nächsten logischen Schritt“ der Zensur in China hält. Die Regierung wolle nun endgültig die Kontrolle über das Internet erlangen.

Giganten profitieren

Betroffen sind aber auch internationale Firmen, von denen viele in den vergangenen Jahren ihre Regionalzentralen in Städte wie Schanghai und Peking verlegt haben. Ihre ausländischen Mitarbeiter kommunizieren nicht nur über das Internet mit den Mutterhäusern in ihrer Heimat. Einige Unternehmen haben ihr ganzes System auf Cloud-Dienste umgestellt, von denen viele Server im Ausland sitzen. Auch diese Verbindungen sind in China seit einigen Monaten oft gestört. Die Europäische Handelskammer kritisierte mehrfach, dass die Beschränkungen die Geschäfte von EU-Unternehmen behinderten und das Netz „frustrierend“ langsam machten.

Die chinesische Führung schert diese Kritik offenbar wenig. Wen Ku vom Informationsministerium ist sogar davon überzeugt, dass die Internetmauer der chinesischen Wirtschaft genützt habe. Viele chinesische Internetfirmen hätten ihren Erfolg diesem „speziellen regulatorischem Umfeld“ zu verdanken, sagte Wen. Tatsächlich haben Internetgiganten wie Baidu, Alibaba oder Youku ihren Aufstieg der Firewall zu verdanken. Sie fanden in China erst dann viele Nutzer, als Facebook und Twitter für die Masse nicht mehr abrufbar waren.