Mangel mobilisiert Killerkeime

HYGIENESKANDAL Ärzte der Kieler Uniklinik verstießen gegen elementare Vorschriften, räumt die Klinik ein. In der Kritik steht auch der outgesourcte Reinigungsdienst

Die Krankenhauswäsche werde ordentlich desinfiziert, nicht aber die Rollcontainer

VON HEIKE HAARHOFF

BERLIN taz | Ärztinnen und Ärzte am Universitätsklinikum in Kiel haben bei der Aufnahme eines schwerkranken Patienten im Dezember 2014 elementare Krankenhaushygieneregeln missachtet – aus Platznot. Das bestätigte der Kliniksprecher Oliver Grieve jetzt gegenüber der taz. In der Folge hatte sich der gefährliche, weil gegen mehrere Antibiotika resistente Keim Acinetobacter baumannii in den vergangenen zwei Monaten auf zwei Intensivstationen der Klinik ausgebreitet. Von 31 positiv getesteten Patienten sind 12 gestorben. In neun Fällen war die Todesursache nach Klinikangaben aber nachweislich nicht der Keim.

Der Mann, der am 11. Dezember nach einem Türkeiurlaub als Notfallpatient in die Kieler Uniklinik eingeliefert worden war, sei zwar noch am Aufnahmetag „auf Erreger und Resistenz“ gescreent worden, und zwar vorbildlich gemäß der Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, versicherte Grieve. Auch ein Labortest, der die Resistenz von Krankheitserregern ermittelt, wurde durchgeführt. Doch anstatt den Patienten dann bis zur Vorlage der Ergebnisse zu isolieren, was nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene Stand der Wissenschaft ist, habe man den Schwerkranken mangels Einzelzimmer in ein Mehrbettzimmer auf der Internistischen Intensivstation gelegt. „Bei der Aufnahme lag ja noch kein mikrobiologisches Ergebnis vor“, suchte Grieve rückblickend die Fehlentscheidung seiner Kollegen zu rechtfertigen.

Die nicht erfolgte Isolierung ist aber offenbar nicht die einzige Schlamperei im Umgang mit Hygienevorschriften. Unklar ist bis heute, wie sich der Keim gleich auf zwei Intensivstationen ausbreiten konnte – zumal diese sich in unterschiedlichen Gebäuden befinden. Ärzte und Pfleger schieden hierbei als Keimüberträger definitiv aus, sagte Grieve: „Personal der Internistischen Intensivstation ist nicht auf der Interdisziplinären Operativen Intensivstation eingesetzt worden.“

Der Keim aber, an dem Patienten beider Stationen erkrankten, gehörte nachweislich zum gleichen Stamm, wie die Uniklinik jetzt herausgefunden hat. Es ist also nicht so, dass zwei Patienten auf zwei unterschiedlichen Stationen sich zufällig und unabhängig voneinander mit dem gleichen Erreger infiziert hatten. Vielmehr handelt es sich um denselben Stamm von Acinetobacter baumannii, was dafür spricht, dass der Keim von der Internistischen Intensivstation zur Operativen Intensivstation transportiert wurde. Allein: Wie konnte das passieren?

Die Uniklinik hält hierfür „mutmaßlich die Verlegung eines Patienten“ von der Internistischen auf die Operative Station für verantwortlich. Das aber hieße, dass dieser Patient vor seiner Verlegung nicht auf Erreger und Resistenzen getestet worden wäre – und das, obwohl er von einer Station kam, auf der sich der multiresistente Keim bereits ausgebreitet hatte.

Möglich ist aber auch, dass das Putz- und Reinigungspersonal Fehler gemacht hat. Davor warnt die Gewerkschaft Verdi. Angesichts des „enormen Spardrucks“, der in Kiel herrsche, seit „hygienerelevante Dienstleistungen“ wie Reinigungs- und Wäschereidienste ausgesourct worden seien, habe es immer wieder Beschwerden gegeben, sagte der Kieler Verdi-Sprecher Frank Schischefsky der taz. Etwa darüber, dass zwar die Krankenhauswäsche selbst ordentlich gewaschen und desinfiziert werde, nicht aber die Rollcontainer, in denen Wäsche, Laken und Handtücher hin und her transportiert würden. Auch auf diese Weise könnte der Keim von einer Station auf die andere gelangt sein.

Die Uniklinik in Kiel bestätigte lediglich, dass die Reinigung durch die Service Stern Nord GmbH, einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, erfolge.

Vor den Gefahren, die mit einer solchen Auslagerung einhergehen, schlechtere Bezahlung des Personals inklusive, warnte die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene bereits 2013: Es gebe den Trend, dass „in den letzten Jahren massiv in der Reinigung in den Krankenhäusern eingespart wurde mit der Konsequenz, dass das Risiko, über Flächen eine Infektion zu erwerben, zugenommen hat.“ Eine Umfrage unter 285 Mitgliedern der Gesellschaft damals hatte ergeben, dass nur noch in 21 Prozent der Kliniken mit eigenem Personal gereinigt werde. 59 Prozent der Befragten wiederum gaben an, dass die Qualität der Reinigung nach der Auslagerung schlechter geworden sei.

Auch die Bundesregierung hatte noch im Dezember 2014 in einem Bericht über multiresistente Erreger das „Outsourcing hygienerelevanter Dienstleistungen“ sowie die „mangelhafte Qualität der Reinigungsleistungen durch externe Reinigungsfirmen“ als Problem erkannt.

Heute, zwei Monate später, will sie davon freilich nichts mehr wissen. Vergangene Woche etwa fragte der Linken-Abgeordnete Harald Weinberg bei der Bundesregierung an, welche Konsequenzen sie nun eigentlich für die kommende Gesetzgebung im Krankenhausbereich aus ihrem eigenen Hygiene-Mängelbericht ziehen wolle. Die Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Annette Widmann-Mauz (CDU), fiel lapidar aus. Die Kliniken seien verpflichtet, für die Einhaltung der Hygieneregeln Sorge zu tragen, schrieb sie. Aber, so Widmann-Mauz: „Im Falle der Reinigung und Desinfektion ist dies unabhängig davon, ob diese durch internes Personal oder einen externen Dienstleister erfolgt.“ Diese Entscheidung sei nicht Sache der Bundesregierung. Sie falle in die „ausschließliche Organisationsautonomie des Einrichtungsträgers“.