Kein Paukenschlag, aber ein Paket

EU-GIPFEL Angela Merkel ist mit den Ergebnissen des Gipfels zufrieden. Sie konnte fast alle ihre Forderungen durchsetzen

AUS BRÜSSEL RUTH REICHSTEIN

Griechenland wird die Hälfte seiner Schulden bei Banken und Versicherungen erlassen. Das Land muss 100 Milliarden Euro weniger an seine Gläubiger zurückzahlen. Diesmal übernehmen die Kosten dafür nicht nur die Euroländer, sondern auch die Banken. Das ist wohl das wichtigste Ergebnis des Eurogipfels, der am frühen Donnerstagmorgen zu Ende ging.

Über zehn Stunden hatte Angela Merkel mit ihren Kollegen, aber vor allem mit Vertretern der Banken verhandelt, um den Schuldenschnitt für die gebeutelten Griechen perfekt zu machen. „Es waren intensive, lange, aber erfolgreiche Beratungen. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis“, sagte Angela Merkel, als sie – sichtlich erschöpft, aber mit einem Lächeln auf den Lippen – gegen vier Uhr in der Früh vor die Presse trat.

Die Börsen schienen ihr den Erfolg zu bestätigen. Der DAX sprang gleich am Donnerstag um fast 4 Prozent in die Höhe. Das Europäische Parlament begrüßte die Gipfelergebnisse, auch wenn die Abgeordneten gern noch mehr gesehen hätten. „Sie haben sich von ihren zu kleinen Schritten noch nicht ganz verabschiedet“, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms.

Merkel gab auch diesmal den Ton an in Brüssel. Praktisch alle Vorschläge und Forderungen, die sie aus Berlin mitgebracht hatte, fanden sich am Ende in den Gipfelschlussfolgerungen wieder: Der Schuldenstand Griechenlands soll bis 2020 auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesenkt werden. Heute liegt er bei 160 Prozent. Bei 120 Prozent, so hoffen die Politiker, könnte sich Athen wieder selbst an den Märkten finanzieren.

Die privaten Gläubiger, die auf ihre Forderungen verzichten, bekommen für ihre Griechenlandanleihen neue Papiere, die nur die Hälfte wert sind. Allerdings werden diese mit 30 Milliarden Euro vom Europäischen Rettungsschirm abgesichert. Damit können die Banken sicher sein, dass sie ihr Geld zumindest in Höhe dieser Summe nicht verlieren werden. Der Anleihentausch soll im Januar beginnen. Eine definitive Zusage von einzelnen Banken, sich tatsächlich an dem Programm zu beteiligen, gibt es nicht, aber die Bankenvertreter haben sich in der Brüsseler Verhandlungsnacht grundsätzlich bereit erklärt, ihren Beitrag zum Abbau der griechischen Schulden zu leisten, sagte die Kanzlerin. „Es ist kein Paukenschlag, aber wir sind einen entscheidenden Schritt weiter.“

Wie dieser Kompromiss zustande kam, wollte weder Merkel noch der französische Präsident Nicolas Sarkozy verraten. „Aber wir haben den Bankenvertretern klargemacht: Das ist unser letztes Angebot. Und sie haben es schließlich angenommen“, sagte Merkel. Eine mögliche Erklärung für die Zustimmung der Banken ist, dass die meisten griechischen Staatsanleihen nach griechischem Recht ausgegeben sind. Das erlaubt es dem Parlament, die Bedingungen nachträglich zu verändern – was für die Banken ein noch schlechteres Geschäft bedeuten könnte.

Die Euroländer übernehmen die Finanzierung der übrigen griechischen Schulden. Das zweite Griechenlandrettungsprogramm kommt und soll 100 Milliarden Euro umfassen. Gleichzeitig wird das Land bei der Umsetzung der Reformen künftig noch stärker überwacht. Die Euroländer wollen eine permanente Kontrolle in Athen einrichten und sich nicht mehr auf gelegentliche Besuche der Experten-Troika verlassen.

Damit die Banken den Ausfall der griechischen Anleihen verkraften, sollen sie neues Kapital bekommen. Bis Mitte kommenden Jahres müssen sie ihre Risikopuffer, die sogenannte Kernkapitalquote, auf 9 Prozent erhöhen. In Deutschland sind davon 13 Banken betroffen. Sie müssen sich gut 5 Milliarden Euro beschaffen. Experten gehen davon aus, dass die Banken dies aus eigener Kraft am Markt schaffen werden. Nur die Banken, die das Geld selbst nicht auftreiben können, sollen zunächst aus den nationalen Haushalten und im Notfall aus dem Europäischen Rettungsschirm Gelder bekommen.

Im Gegenzug sollen die Institute ihre Dividenden- und Bonuszahlungen beschränken, bis die Rekapitalisierung abgeschlossen ist. „Ein größeres Verantwortungsbewusstsein und eine faire Beteiligung des Finanzsektors sind zentrale Elemente unseres Pakets“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

Die Schlagkraft des Eurorettungsschirms EFSF wollen die Regierungen auf rund 1 Billion Euro erhöhen. Dies soll mit sogenannten Hebeln erreicht werden, die die verfügbaren Mittel um den Faktor 4 bis 5 erhöhen. Unter anderem sollen dafür Drittländer beteiligt werden. Der EFSF-Chef Klaus Regling will heute zu einer Werbetour nach Asien aufbrechen. Wie genau diese Hebel funktionieren, soll bis Ende des Jahres ausgearbeitet werden. Klar ist aber schon jetzt, dass die Europäische Zentralbank nicht daran beteiligt wird.

„Mir ist sehr bewusst, dass die Welt auf diese Beratungen geschaut hat. Wir haben gezeigt, dass wir in der Lage sind, unsere Probleme zu lösen“, sagte Merkel.

Langfristig will sich die Eurozone gegen Krisen schützen. Italien und Spanien haben Sparprogramme vorgelegt. Der italienische Premier Berlusconi versprach, den Schuldenstand bis 2014 auf 113 Prozent der Bruttoinlandsprodukts zu senken – unter anderem mit einer Rentenreform. Alle Staaten hätten sich verpflichtet, so Merkel, eine Schuldenbremse in ihren Verfassungen festzuschreiben.

Im Dezember soll Ratspräsident Herman Van Rompuy einen Bericht vorlegen, wie die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Länder besser funktionieren könnte. Außerdem sollen regelmäßig Gipfeltreffen der Euroländer stattfinden. EU-Kommissionspräsident Barroso ernannte den Kommissar für Wirtschaft und Währung, Olli Rehn, zum Vizepräsidenten der Institution und beauftragte ihn, die Eurozone nach außen zu repräsentieren.