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Fliehen wäre eine Option

AUSSTELLUNG Oranienplatz, Malaysia, Fukushima: Die Installationen beim Forum Expanded beweisen Weitblick. Explizit politisch sind die meisten nicht

Im raffinierten wie rasanten Zusammenschnitt gibt Ho Tzu Nyen dem Mann, dessen wahrer Name bis heute nicht bekannt ist, ein Gesicht

VON BRIGITTE WERNEBURG

Um jedem Missverständnis vorzubeugen: Das 10. Forum Expanded, dieses Jahr (und wohl auch in Zukunft) in der Akademie der Künste beheimatet, zeigt ein hervorragendes Filmprogramm und eine sehr gelungene Ausstellung mit 19 Film- und Videoinstallationen von 16 internationalen Künstlern. Dennoch wirkt die Sektion der 65. Internationalen Filmfestspiele Berlin mit Arbeiten, die das Verhältnis von Film und zeitgenössischem Kunstschaffen ausloten und sonst vornehmlich in Galerien, Museen und Medienkunsträumen gezeigt werden, merkwürdig aus der Zeit gefallen.

Denn das Forum Expanded bildet in seinem Jubiläumsjahr nur vereinzelt die Welt ab, wie sie sich uns heute darstellt: voller Gewalt und unvorstellbarer Grausamkeit, die aus einer Vielzahl von Krisenherden herrührt, deren Entwicklung völlig unvorhersehbar ist und die für ein Heer von Flüchtlingen sorgt, wie es das in der gesamten Weltgeschichte noch nie gegeben hat.

Es scheint, als überfordere der unrühmliche Zustand dieser Welt selbst den Kunstbetrieb, der doch sonst so gern seine Aktualität und Zeitgenossenschaft betont. Die Krisenerfahrung kommt zunächst vor allem im Motto des Forums Expanded zum Tragen. „To The Sound of the Closing Door“ entstammt einem Bekenntnis Jean-Luc Godards, der sinngemäß meinte, in der Nouvelle Vague, die er als Anfang gesehen habe, erkenne er heute eine zufallende Tür.

Die kann man auch in der Installation „In Rom“ erkennen. Als Villa-Massimo-Stipendiatin in der italienischen Hauptstadt beschäftigte sich Jeanne Faust mit Charlotte Casiraghi, der Tochter von Caroline von Monaco. Ein Poster an der Wand zeigt sie als Werbeträgern für Gucci und Springreiterin. Ein kurzer Video-Loop daneben, in dem man im Dunkel eines Stalls Casiraghis Pferd und die Burschen, die sich darum kümmern, mehr erahnt als sieht, macht die Tür zu poetischer oder politischer Relevanz dann auch nicht auf.

Anders Mireille Kassar, die eine Gruppe von Jungen filmte, die in Uzai, einem armen Vorort von Beirut, am Meeresstrand spielen. Die Kinder werfen sich in die Wellen, aber sie spielen auch mit ihrem Schatten, den sie zu überholen versuchen. An einer Stelle erinnert das Videobild an die Aufnahme der drei Jungen 1930 im Tanganjikasee von Martin Munkácsi, die den Maler Henri Cartier-Bresson zum Fotografen machte. Das Glück des Moments und des Spiels ist heute aber getrübt, so wie das Wasser am Strand von Uzai, das braun und wenig vertrauenserweckend zwischen den Felsbrocken gurgelt: Ob diese Jungen an diesem Ort jemals erwachsen, gar alt werden, ist höchst zweifelhaft.

Fliehen wäre eine Option. Der brasilianische Filmemacher Felipe Bragança hat eine Gruppe von Flüchtlingen vom Camp auf dem Kreuzberger Oranienplatz interviewt. Darauf aufbauend entwickelte er die halb dokumentarische, halb fiktionale Filmfabel von Mayga aus Mali, Elias aus Ghana und Abidal aus Burkina Faso, deren Traumatisierung er in eher behutsamen als drastischen Bildern und Szenen dennoch eindringlich verdeutlicht.

Die Tür ist nach dem verheißungsvollen Arabischen Frühling wohl auch in Ägypten zugefallen. Die Filmemacherin Jasmina Metwaly hat mit dem Blogger und Aktivisten Philip Rizk in der Industriestadt Helwan beobachtet, wie Arbeitslose in einem Theaterworkshop ihre Erlebnisse der letzten Jahre nachspielen und damit erforschen wollen, welche anderen Türen womöglich doch aufgehen. Leider ist der Film, der im Mai im deutschen Pavillon auf der Biennale von Venedig zu sehen sein wird, zu wenig kontextualisiert. Man verstünde mehr, hätten Metwaly und Rizk die Fragen und Diskussionen der Theateramateure zu ihrem eigenen Tun mit in den Film aufgenommen.

In zwei Räumen, einmal mit chinesischem, das andere Mal mit vietnamesischem Ton, zeigt der Performancekünstler und Filmemacher Ho Tzu Nyen aus Singapur „The Nameless“. Der Titel führt in die Irre. Der so bezeichnete Lai Teck, von 1939 bis 1947 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Malaysias, lebte und arbeitete unter nicht weniger als 50 verschiedenen Namen, bis er als Dreifachagent für die Briten, Franzosen und Japaner enttarnt wurde.

Im raffinierten wie rasanten Zusammenschnitt aller möglicher Filme des Hongkong-Stars Tony Leung gibt Ho Tzu Nyen dem Mann, dessen wahrer Name bis heute nicht bekannt ist, ein Gesicht. „The Nameless“ sollte auf der von Anselm Franke kokuratierten Shanghai Biennale laufen. Weil aber Ho Tzu Nyen, der nun auch in der daad-Galerie ausstellt, mit der Hongkonger Demokratiebewegung sympathisiert, untersagten die chinesischen Behörden die Aufführung.

Eine großartige Auswahl haben Stefanie Schulte Strathaus, Nanna Heidenreich und Bettina Steinbrügge, die mit Anselm Franke das Forum Expanded verantworten, vor allem da getroffen, wo die Filme und Installationen, die eigene Geschichte und eigene mediale Verfasstheit reflektieren. Besonders sehenswert in den Beiträgen von Constanze Ruhm und Emilien Awada, die die Spur des 1913 gegründeten und 1970 abgebrannten Filmstudio Saint-Maurice bei Paris verfolgen. Verstörend bei Pierre Huyghes, der einen als Kellner ausstaffierten und trainierten Makaken in einem zerstörten Restaurant in der menschenleeren Ödnis von Fukushima beobachtet. Erheiternd bei Yu Cheng-Tas „Practicing Live“, einer Taiwan-Familien-Soap, die im Kunstmilieu spielt.

■ Ausstellung: „To the Sound of the Closing Door“, noch bis 15. 2., Akademie der Künste, 11 Uhr

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