Russen müssen sich wieder an den Frieden gewöhnen

RUSSLAND Medienleute, Politiker aller Parteien und die Bevölkerung reagieren verhalten auf die Einigung von Minsk

MOSKAU taz | Die Reaktionen auf die Einigung von Minsk sind in Moskau zurückhaltend. Die Medien berichten ausführlich, doch beherrschten die Verhandlungen nicht das Geschehen. Nach einem Jahr Kriegsberichterstattung dürfte es den Medienmachern schwerfallen, den Kriegsfokus ad hoc zu verändern. Auch die Zuschauer müssen sich wieder an friedlichere Töne gewöhnen, meinte ein Beobachter.

Der Vorsitzende der Duma, Sergei Naryschkin, meinte, das Ergebnis von Minsk zeige, „wer Partei des Friedens und wer Partei des Krieges“ sei. Damit spielte er auf die Ankündigungen der USA an, die Ukraine mit Waffen zu versorgen.

Ähnlich sah es auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Duma, Alexei Puschkow: „Jetzt geht es nicht um Krieg, sondern darum, die schwere Artillerie beider Seiten zu entfernen und eine Pufferzone zu schaffen.“ US-Präsident Obama dürfte es dann schwerfallen, eine Entscheidung über Waffenlieferungen zu treffen. Die USA stünden sonst „in einem schlechten Licht“, sagte Puschkow.

Franz Klinzewitsch von der Kremlpartei Einiges Russland war zuversichtlich, dass die Waffenruhe eingehalten wird. Die Ergebnisse eines so hochkarätigen Gipfels könne niemand ignorieren. Dennoch sei es naiv, anzunehmen, am 15. Februar um Mitternacht würden alle Waffen schweigen, sagte Klinzewitsch. Die Befürchtungen betreffen vor allem die ukrainische Armee.

Mit Zweifeln meldete sich auch der stellvertretende Außenminister Russlands, Alexei Meschkow, zu Wort. Er beklagte, dass Kiew die Zahl russischer OSZE-Beobachter „maximal zu begrenzen“ suche. Höhepunkt unter den verhaltenen Stellungnahmen war ein sechsminütiges TV-Interview, in dem der Vizevorsitzende der Duma, Wladimir Schirinowski, den Ukrainern qua Veranlagung „Vertragsfähigkeit“ absprach und ankündigte, bald würde die Ukraine von der Landkarte verschwinden. Was bliebe, sei ein kleines Galizien, meinte der Ultranationalist, der auch im Kreml Gehör findet.

Zurzeit lässt sich in Moskau weder Erleichterung oder Freude über den Ansatz zu einer Lösung in Minsk noch ein breiteres Interesse der Bevölkerung erkennen. Sie hatte sich mit dem Krieg eingerichtet, der vor ihrer Tür und im Fernsehen stattfand.

KLAUS-HELGE DONATH