Wahlkampf im Wohnzimmer

VISITENKARTEN Marko D. Knudsen ist der einzige Kandidat bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen, der aus der Roma-Community kommt. Für deren Probleme möchte er als Grünen-Abgeordneter sensibilisieren. Wahlkampf betreibt er bei seinen potenziellen Wählern zu Hause

Marko D. Knudsen macht Wahlkampf im Wohnzimmer. Nicht in seinem eigenen, sondern jeden Abend auf einer anderen Couch, bei einer anderen „Sippe“, wie er sagt. Dann trinkt er Kaffee, verteilt Visitenkarten mit seinem Konterfei und spricht mit den Familienältesten über Politik. Manchmal werden auch ein paar interessierte Jugendliche dazugeholt. Der Grünen-Kandidat ist Rom und wirbt bei seiner Community um Stimmen.

Die Visitenkarten sind wichtig. „(Markus) Marko D. Knudsen“ steht darauf. Der Grünen-Kandidat ist bei den rund 40.000 Roma und Sinti in Hamburg zwar bekannt, aber unter seinem Roma-Namen Marko. Auf dem Wahlzettel aber steht sein katholischer Taufname Markus. „Ich habe versucht, den Namen vor der Wahl zu ändern, aber die Behörden machen nicht mit“, sagt Knudsen. Er fürchtet, dass ihn die Wähler in der Kabine nicht erkennen. Deshalb die Visitenkarten, deshalb die Hausbesuche.

Für andere Politiker blieben diese Türen geschlossen, glaubt Knudsen. „Die würden nicht einmal mit Katharina Fegebank sprechen“, der Spitzenkandidatin der Grünen. Als Rom genießt Knudsen einen Vertrauensbonus. Nur wenige „seiner Leute“ gingen sonst zur Wahl, weil sie sich von der Politik nicht vertreten fühlten. „Jetzt haben mir zwei Holocaust-Überlebende gesagt, dass sie zum ersten Mal in Deutschland wählen gehen, weil ich kandidiere“, sagt Knudsen, „eine Ehre.“

Der 40-Jährige arbeitet als Schulsozialarbeiter mit Roma- und Sinti-Kindern. Es ist seine erste Kandidatur für die Bürgerschaft. In jeder freien Minute telefoniert er mit Multiplikatoren in den Familien. Manchmal stellt er sich auch an einen Infostand in seinem Viertel Dulsberg.

Seit Jahren lasse sich beobachten, wie die Stimmung gegen Roma in der Gesellschaft kippe, die Vorurteile größer werden, sagt Knudsen. Er sieht das in den Medien und sozialen Netzwerken, verfolgt die Kommentare und bemüht sich, den Menschen ihre Unwissenheit nicht krumm zu nehmen. Vorurteile über „kriminelle Zigeuner“ und deren „Nomadendasein“ hielten sich hartnäckig. „Aber Roma sind nicht krimineller als andere“, sagt Knudsen.

Wegen der angespannten Stimmung versuchen viele Roma unter dem gesellschaftlichen Radar zu bleiben. „Sie sehen Pegida und bekommen Panik“, sagt Knudsen. Die Mehrheitsgesellschaft sei in der Pflicht, ihre Vorurteile abzulegen. Genauso seien aber auch die Roma gefragt. Die müssten ihren „kulturellen Rucksack erleichtern“, sagt der Grüne. In den Familien seien Feste oft wichtiger als Arbeit oder Schule. Einen Anlass zum Feiern gebe es immer – Knudsen ist selbst in einer Großfamilie aufgewachsen. Allein sein Vater und seine Tante hätten zusammengezählt über hundert Nachkommen. „Irgendwo ist da immer eine Taufe, eine Hochzeit, eine Beerdigung oder ein Todestag.“ Mit einem Acht-Stunden-Norm-Alltag sei ein so intensives Familienleben nicht vereinbar. „Ich gehe nicht mehr zu jeder Feier“, sagt Knudsen. Seine kulturelle Identität schwäche das nicht.

Bevor er bei den Grünen landete, war Knudsen schon mal Pirat und für 45 Minuten bei der Linkspartei. Die Leute bei der Linken hätten aber nicht damit aufgehört, ihn Zigeuner zu nennen. „Da bin ich mit meinem Mitgliedsbeitrag wieder gegangen.“ Seine Entscheidung, zu den Grünen zu gehen, nennt er „pragmatisch“. Umweltschützer sei er nicht, aber die Partei habe ein offenes Ohr für die Anliegen von Roma und Sinti. Den Wählern aus seiner Community sei es ohnehin egal, welcher Partei er angehöre, solange er nicht für die NPD kandidiere. Sie würden ihn unterstützen, weil er einer der ihren ist.

In der Bürgerschaft will Knudsen sich für eine bessere Bildung von Roma und Sinti einsetzen, einen sensibleren Umgang mit der Minderheit einfordern und weiter für eine Gedenkstätte am ehemaligen Deportationsbahnhof in der Hafencity kämpfen. Knudsen kandidiert auf Listenplatz 20. Kein aussichtsreicher Platz, aber eine kleine Hoffnung sei da, sagt er – wenn die Wähler auf der Liste seinen Namen erkennen.  ANDREA SCHARPEN