Noch ein paar Tote mehr in der Ödnis

KÖRPERWELTEN-SCHAU KOMMT

Das Gericht konnte keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit feststellen

Vermutlich wird sich Christian Hanke (SPD), Bezirksbürgermeister von Mitte, das Leichenmuseum am Fuße des Fernsehturms nicht anschauen. Der Grund sind keineswegs etwaige kulturelle Abwehrkräfte Hankes, es ist eine herbe Niederlage: Der Bezirk hat in dieser Woche zum zweiten Mal einen Prozess vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen den Leichenplastinator Gunther von Hagens verloren. Die „Körperwelten“-Schau am Alexanderplatz, die Hanke verbieten wollte, darf am 18. Februar eröffnen. Die Ausstellung verstoße nicht – wie der Bürgermeister glaubt – gegen das Bestattungsgesetz; anatomische Präparate wie plastinierte Leichen seien keine Leichen im Sinne des Gesetzes, sagten die Richter. Außerdem konnte das Gericht in der umstrittenen Ausstellung keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit feststellen: irgendwelche durch Zombie-, Vampir- oder Lebende-Leichen-Ängste ausgelöste Phobien sind also nicht zu erwarten.

„Dr. Tod“, wie von Hagens manchmal genannt wird, hat nun vor Gericht gewonnen. Das ist eigentlich auch okay; für die ausgestellten 20 plastinierten Körper und 200 Einzelstücke aus Haut und Knochen, für die gespaltenen Köpfe und ausgeschälten Augen reichte die geltende Rechtslage. Richtig schlimm ist das Museum ebenfalls nicht, Schweinereien wie in Köln oder Augsburg, wo von Hagens Plastetote beim Sex gezeigt hatte, gibt es in Berlin nicht. Und wem das hier am Alex gefällt, der ist noch lange kein Menschenverachter, Grufti oder Perverser. Schließlich waren die „Körperwelten“ bereits in dem 007-Streifen „Casino Royal“ zu sehen. Und James Bond hat nicht darauf geschossen.

Gut, man kann das alles Mist finden, aber mit Moral und Kunstverständnis, Bestattungsgesetzen und Anatomie kommt man hier nicht weiter. Und wenn Mittes Bürgermeister denkt, der Standort am Alexanderplatz sei viel zu schön und zu lebendig für die hässlichen Toten, dann sollte er sich dort einmal umsehen. Rund um den Fernsehturm hat sich längst eine eigene Realität breitgemacht aus Trash und Konsum, Kitsch und Ramsch. Nachts meint man, sich auf dem Chicagoer Zentralfriedhof zu befinden, so tot ist es. Oder wer etwa in eine der vielen Fressstuben dort geht, kann sich hinterher gleich von von Hagens den Magen plastinieren lassen. Solange das so ist, stören hier auch konservierte Leichen nicht – bis die Berliner und die Touristen vielleicht einmal bemerken, dass sie das über haben und dort ein besserer Geschmack angesagt wäre.

ROLF LAUTENSCHLÄGER