Aus Kranken werden Kunden

Mit dem Persönlichen Budget bekommen Behinderte ein Instrument an die Hand, mit dem sie stärker selbst entscheiden können, wie und wo sie leben. Statt einer Sachleistung erhalten sie Geld

VON ESTHER GEISSLINGER

In der eigenen Wohnung leben statt in einem Heim, für das Muskeltraining ins Fitnessstudio gehen statt zur Krankengymnastin: Das Persönliche Budget ist ein neues Instrument, mit dem Behinderte stärker selbst entscheiden können, wie und wo sie leben. Denn statt einer Sachleistung wie der Unterbringung im Heim, können sie dank des Budgets Geld erhalten und es selbst ausgeben – aus Kranken werden Kunden, werden Könige.

Nach einer dreijährigen Einführungsphase darf ab Januar 2008 jeder Behinderte das Budget beantragen. Doch diese Zeit wurde nicht richtig genutzt, um Betroffene, Kassen und Einrichtungen der Behindertenhilfe auf das neue Verfahren vorzubereiten: „Es wurde teilweise geschlafen“, sagte Karin Evers-Meyer, Bundesbeauftragte für das Persönliche Budget, bei einer Pressekonferenz in Kiel, in der sie gemeinsam mit dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung, Ulrich Hase, das Modell vorstellte. Vor allem fehle Wissen über das Verfahren, mahnten beide an.

In Schleswig-Holstein nahmen zwei Landkreise an dem Modell teil, etwa 50 Menschen haben inzwischen ein Budget erhalten. Betreut werden sie durch das eigens geschaffene Büro Carenetz.

„Das läuft sehr gut“, sagt Jörg Adler, Fachreferent des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes für das Budget. „Geradezu idealtypisch.“ Die Frage sei aber, wie die dort entwickelten Elemente in der Fläche eingesetzt werden könnten: „Es fehlen klare Verfahren für das ganze Land.“ Schuld daran seien auch die Verbände, gibt er zu: Der begleitende Beirat habe dieses Thema nicht wichtig genug genommen. Nun fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband, das zügig klare Verfahren entwickelt werden.

Denn das Budget setzt voraus, dass der Behinderte viel stärker als bisher bestimmt. Genau das sei das Ziel, sagt Ulrich Hase: „Wir wollen selbst entscheiden. Die Angebote sollen sich den Bedürfnissen anpassen, nicht umgekehrt.“

Es besteht die Gefahr, dass einige der Betroffenen damit überfordert sind. Zurzeit sind 25 Prozent der Teilnehmer geistig und 19 Prozent körperlich beeinträchtigt. Doch gerade für psychisch Kranke sei das Modell ideal, glaubt Evers- Meyer –das sind immerhin 47 Prozent der Teilnehmer. „Sie brauchen nicht ständig Hilfe, sondern nur in Krisenphasen“, sagt Evers-Meyer.

Auch Dagmar Barteld-Packowski vom Landesverband Psychiatrieerfahrerener lobt das Modell, sie weiß aber auch: „Nur ein selbstbewusster Nehmer bekommt, was er will.“ So fordern Verbände mehr Hilfen für Menschen, die das Budget beantragen wollen: Eine unabhängige Assistenz etwa, die gerade psychisch oder geistig Behinderte bei den Gesprächen mit Kommune oder Krankenkasse unterstützt. So eine Stelle ist im Gesetz aber nicht vorgesehen, wird demnach auch nicht finanziert. Während Evers-Meyer rät, dass Freunde oder Eltern gemeinsam mit einem geistig Behinderten das Gespräch führen, erklärt Hase: „Das ist eine Frage, in der ich Handlungsbedarf sehe.“

Laut Gesetz soll ein Behinderter mit Budget nicht mehr Geld erhalten als vorher, und Hase sagte: „Ich habe Sorge, dass bei einigen die Idee entsteht, wenn ein Mensch aus einem Wohnheim auszieht, wird es billiger.“ Doch ein Instrument zur Kostenersparnis dürfe das Budget nicht sein: „Wir werden aufpassen, dass das nicht passiert“, verspricht Hase. Er betont auch: „Niemand kann gezwungen werden, sich für ein Budget zu entscheiden.“