Ornament und Vorsprechen

Die Pollesch-Maschine hat mal wieder ein neues Stück in die Volksbühne gespuckt: Sophie Rois, Christine Groß und Volker Spengler spielen in „Diktatorengattinnen I“ und erwecken dabei Alienassoziationen

Der Zuschauerraum setzt sich auf der Bühne fort. Die Volksbühnensaal-Holztäfelung schließt sich, dreiarmige Leuchterchen inklusive, zum abgeflachten Oval Office und macht die Spiel- und Guckkastenräume eng. Ein Tisch mit vier Stühlen in der Mitte, rechts ein Sofa und links noch ein Stuhl und im Vordergrund ein Plattenspieler. In der Mitte der Holztäfelung ein Vorhang, dahinter, als er sich öffnet, auch keine Tiefe, sondern nur, hinter einem schmalen Gang, als Fototapete die Hagia Sophia mit ihren prächtigen Minaretten.

Aber das Pollesch-Theater kann auf alle Tiefenanmutung gut verzichten, zumal von der Kamera verfolgte kleine Fluchten in den Backstagebereich möglich bleiben. Mediale Dopplung, nicht psychologische Tiefe, und für den Gegenstandsslapstick ist allemal Platz: Sophie Rois bettet sich auf den Tisch, lässt per Fernbedienung eine Leinwand rauf- und runterfahren. Sogar die Lüsterkopie, die über dem Bühnenstreifen hängt, geht auf Knopfdruck nieder als blinkendes Ufo, das Alienassoziationen aus Rois raussprudeln lässt. Bühnenbild, wie immer: Bert Neumann.

Auf der Bühne dann Pollesch-Business as usual. Dreh- und Angelpunkt der Textproduktion ist Sophie Rois, die die meiste Zeit als Diktatorengattin Elena Ceaușescu durchgeht. Als ihre – historisch so nicht verbürgte – Tochter Olive ist Volker Spengler besetzt, der erst in hässlich hellblauer Uniform am Tisch der Diktatorin rumnölt, dass er/sie aber eine Hauptrolle haben will. In einem Film, der gerade gedreht wird, oder auch im Stück, in dem wir uns befinden. Die Grenzen sind da sehr fließend. „Kann man sie nicht erschießen“, fragt Frau Ceaușescu mehr als ein Mal und meint Olive. Zwischendurch wird es dunkel, es wabern Trockeneisnebel, Spengler mutiert zum haarigen Monster und kopuliert mit der Diktatorengattin auf dem Tisch.

Später kriegt Spengler als nun wieder Olive im rot-weißen Bademantel zwei Schläge mit dem Gummihammer auf den Kopf und liegt dann als mächtiger Brocken für tot auf dem Boden. Mit im Spiel: Mira Partecke als Mezzosopranistin Agnes Baltsa und Christine Groß als Frau Kling, die fest davon überzeugt ist, dass ihr und nicht Elena ein Attentatsversuch galt. Als Fünfte im Bunde sitzt, zwischen Ornament und Vorsprechen, die Souffleuse Tina Pfurr auf der Couch.

Fast ohne Stocken aber drängt der Text aus den Darstellerinnen, offenbar mehr Spaß als Mühe bereitet ihnen die Produktion des Pollesch-Sounds, nur Volker Spengler wollen die Theorieversatzstücke in einem längeren Monolog gegen Ende nicht recht über die Lippen. Vom Thema Familie, als dem, was der vollständigen Durchsetzung des Kapitalismus noch im Wege steht, mäandert der Abend im vertrauten Jargon der Uneigentlichkeit weiter zu einem musikjournalistischen Metaexkurs, in dem die Band Shangri-Las eine zentrale Rolle spielt. Es wird dann auch eine Platte gespielt.

Als Einlage, die sehr hübsch ist, gibt es eine Spiegelfechterei ohne Spiegel von Sophie Rois und Christine Groß. Ist halt nur von den Marx-Brothers geklaut. Refrains zum Nachsprechen finden sich auch, Schlagworte wie „reproduktive Massenheterosexualität“ oder Behauptungen wie „Negation muss die Kreativität ablösen“.

Das Ganze führt aber, muss man sagen, eigentlich nirgendwohin, und es dreht sich mit seinen Wiederholungsstrukturen noch nicht einmal sehr überzeugend im Kreis. Die Pollesch-Maschine hat mal wieder ein Pollesch-Produkt ausgespuckt. Die Fortsetzung der „Diktatorengattinnen“ mit Imelda Marcos ist schon angekündigt, für nächsten April. Die Vorfreude hält sich nach diesem Abend in Grenzen.

EKKEHARD KNÖRER

Nächste Aufführung heute, am 19. Oktober, 19 Uhr