Mildernde Umstände

Nach dem 0:3 gegen Tschechien schilt Bundestrainer Joachim Löw seine Mannschaft. Er weiß aber auch, dass die Niederlage leicht verschmerzt werden kann, denn qualifiziert ist die DFB-Auswahl ohnehin für die EM in Österreich und der Schweiz

AUS MÜNCHEN MAX HÄGLER

Am Ende waren es beinahe vertauschte Rollen. Karel Brückner, der weißhaarige alte Mann, gab sich Dienstagnacht nach dem Spiel kauzig wie immer. Schlechtgelaunt beantwortete er die Journalisten-Fragen. Dabei hätte Brückner, der in wenigen Tagen seinen 68. Geburtstag feiert, eigentlich allen Grund gehabt für ein frohes Bilanzziehen: Mit 3:0 hatte sein Team die ersatzgeschwächte deutsche Mannschaft in München vom Platz gefegt und damit den Einzug in die EM besiegelt. Ein „Im Prinzip nehm ich alles mit Genugtuung“ ließ sich der launige Brückner entlocken. Und technisch wurde es, als die Frage aufkam, was er empfunden habe in den letzten Spielminuten, als die tschechischen Fans die Nationalhymne anstimmten. „Ich werde das Analysieren erst nach einer gewissen Zeit beginnen“, ließ Brückner wissen. Keine Emotion bei dem Mann, der in Joachim Löw nicht nur einen Länderspiel-Gegner hatte, sondern der auch ein ganz persönliches Duell gegen den deutschen Fußball und die vermeintliche Moderne auszufechten hatte.

Alles anders

Vor dem Spiel hatten die tschechischen Medien Lobeshymnen auf die deutsche Spielweise gesungen, die verkörpert werde durch den jugendlich-dynamischen Löw, der es geschafft habe, alle ersetzbar zu machen. So ein Typ, hieß es, sollte doch auch endlich für Tschechien her, das seit 2001 von Kauz Karel geleitet wird. Aber, wie gesagt, es kam alles ganz anders.

„Zweikämpfe und Ballkontakte hatten wir nicht“, analysierte Löw nach dem Spielende. Ab der 65. Minute, das dritte Tor war gerade gefallen, wechselte man in München von stehenden Ovationen zu einem andauernden Pfeifkonzert. Die Fans hatten genug von deutschen Fehlpässen, Rückpässen und Querpässen, gespielt von einer indisponierten Mannschaft, die beinahe nur für das eigene Tor gefährlich wurde: Schweinsteiger leitete mit einem Fehlpass in der 2. Minute das erste Tor für die Tschechen ein, mit Unterstützung der Innenverteidiger Mertesacker und Metzelder, die keine Abseitsfalle zustande brachten. Metzelder war es auch, der in der 23. Minute den starken Matejovski laufen ließ, der sich mit dem 2:0 bedankte.

Ein ähnliches trübes Spiel der Verteidigung führte schließlich zum 3:0 für die Tschechen in der 63. Minute. Statt den Zweikampf zu suchen, ließ die Abteilung rund um den schwachen Arne Friedrich den Gegner einfach spielen. Auch sonst alles Fehlanzeige, vielleicht bis auf einen links immer fleißig nach vorne eilenden Marcell Jansen, den wie stets brav rennenden David Odonkor und Kevin Kurany, der zwei gute Torchancen hatte, diese aber auch eindrucksvoll vergab.

Ganz abgemeldet war Lukas Podolski. Auf demselben Platz hatte er bei der WM 2006 noch den Doppelpack gegen Schweden geschossen. Derzeit läuft aber nichts mehr für den Stürmer. Bei den Bayern ist er derzeit nur Einwechselkandidat, und unter Löw wird das künftig auch der Fall sein: Aus Poldis Befreiungsschlag, den Löw geplant hatte, wurde nichts. Die Sturmmitte wirkte völlig unbesetzt, zu vermelden höchstens noch ein Frustfaul direkt nach der Pause, für das er Gelb sah.

Traumlos unglücklich

Am Dienstag war Poldi nur einer unter vielen Schlechten, Einzelkritik wollte Löw erst gar nicht üben: „Wir waren in keinem Bereich im Spiel, das 0:3 geht so in Ordnung“, lautete die Bilanz des Bundestrainers, der keine Erklärung für das schlechte Spiel hatte: Das Abschlusstraining sei gut gewesen. Wahrscheinlich lag es daran: Den Deutschen hat gegen die souveränen Tschechen die Substanz gefehlt. Lahm und Klose fehlten ebenso wie die Mittelfelddirigenten Schneider und Ballack. Eigentlich hatte es geheißen, dass das deutsche System inzwischen so perfekt sei, dass alle Ausfälle kompensiert werden könnten.

Dieser Traum sei ausgeträumt, stellte Metzelder nach dem Spiel fest – wohl stellvertretend für die junge Mannschaft, die mit Nachwuchsleuten wie Rolfes, Trochowski oder Fritz aufgelaufen war und die allesamt bedröppelt und selbstkritisch durch die Mixed Zone liefen. „Man hatte bislang das Gefühl: Egal wer ausfällt, es kommt jemand nach“, sagte Fritz. Aber es gebe eben doch Grenzen. Und die Erkenntnis: Fußball wird von erfahrenen Spielern entschieden. Zumindest er werde jetzt in seinen Heimatverein zurückkehren und nachdenken, was da passiert ist in München. „Ab und an ist es ganz gut, die Realität wieder kennenzulernen.“ Und die heißt für die Deutschen, ein Dreivierteljahr vor der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz: Ohne Ballack und Klose geht nichts, mit Lukas Podolski schon gar nicht.