CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: It’s Hybridity, Stupid!
Wir leben in einer postmigrantischen Gesellschaft. In einer was? In Berlin geht man ins postmigrantische Theater. In Hamburg geht das Theater ins Postmigrantische, so geschehen mit einer Veranstaltungsreihe des Schauspielhauses im Stadtviertel Veddel vorigen Herbst. Und viel beachtet im Dezember war die Studie „Deutschland postmigrantisch“ der Berliner Humboldt-Universität. Das Ergebnis: Die meisten Migranten hierzulande fühlen sich deutsch. Ist es das? Etwa: Nach der Migration kommt das Dazugehören?
Wer Definitionen sucht, stößt auf Schwammiges. Von „einer sich pluralisierenden und heterogenisierenden Gesellschaft“ ist in der Studie die Rede. Das Konzept zur Hamburger Veranstaltungsreihe dagegen wirft Multikulturalismus und Postmigration lustig durcheinander.
Rettung in den Bedeutungsfluten gibt’s in dem Aufsatzband „Nach der Migration. Postmigrantische Perspektiven jenseits der Parallelgesellschaft“ (Transkript 2015). Darin gibt der Migrationsforscher und Mitherausgeber Erol Yildiz Auskunft. Vorbild für den erstmals 1995 verwandten Terminus „postmigrantisch“ sei der Hybriditäts-Entwurf der Postkolonialismustheoretiker Homi Bhabha und Stewart Hall, mit dem sie Mehrfachzugehörigkeiten der Zugewanderten in den Blick nehmen. Das wurde in Abgrenzung entworfen zum Konzept des Multikulturalismus, an dem man die Idee eines puren Nebeneinanders der Kulturen monierte.
Hybridität also, yeah. Das „Dazwischen“, das „Ungesagte“, das „Marginalisierte“. Nochmal yeah. Man will raus aus der Identitätsfalle und landet doch wieder in ihr. Puh. Und in der Unentschiedenheit, wer denn nun hybrid ist, die Gesellschaft als Ganzes oder die Einzelnen. Was heißt das für die Forschung? „In Analogie zu dieser Auffassung des Postkolonialismus bedeutet die Idee der ‚Postmigration‘ zunächst, die Geschichte der Migration neu zu erzählen und das gesamte Feld der Migration radikal neu zu denken, und zwar indem die Perspektiven derer eingenommen werden, die Migrationsprozesse direkt oder indirekt erlebt haben.“ Migrationswissenschaftliches Tagesgeschäft. Seit 20 Jahren. Da wäre doch ein entschiedenes „post“ vielleicht mal angebracht.
■ Die Autorin ist freie Journalistin in Hamburg
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