Neue Luft für Lungenklinik

Der Verein Kids Globe will aus dem baufälligen Gelände der ehemaligen Lungenheilstätte bei Oranienburg eine Kultur- und Bildungsstätte machen. Zuvor müssen Investoren gefunden werden

VON STEFAN OTTO

Bernhard Hanke steht vor den verkohlten Resten des Dachstuhls. Unbekannte haben die Kapelle am Grabowsee angesteckt. Balken sind eingestürzt. Doch die Kritzeleien der russischen Soldaten an einer verputzten Wand haben den Brand überlebt. „Die Wände haben keinen Schaden bekommen“, sagt Hanke, „und das Dach kriegen wir wieder hin.“ Der Ort sieht denkbar trostlos aus, aber Hanke ist Optimist.

Das muss der 46-Jährige auch sein. Bernhard Hanke ist Vorsitzender und treibende Kraft beim Verein Kids Globe, der auf dem 35 Hektar großen Areal der ehemaligen Lungenheilstätte unweit von Oranienburg ein Bildungsprojekt aufbaut. „Das Gelände ist ideal für unser Vorhaben“, meint Hanke, der froh ist, dass es in keinem der Hauptgebäude gebrannt hat. Die stehen nämlich alle leer und werden von Kids Globe gesichert.

Ambitioniertes Projekt

Das Projekt ist ambitioniert. In den Häusern sollen Studios und Ateliers, Labore und Medienräume sowie Werkstätten entstehen. Kids Globe will passend zum Schulalltag ein ergänzendes Bildungsangebot erstellen. Dazu werden Kinder und Jugendliche im Klassenverband eingeladen und sollen sich je nach Interesse an verschiedenen Projekten beteiligen. „Die Schüler bekommen auf dem Gelände die Möglichkeit, sich auszuprobieren. Theoretisches Wissen und die Praxis sollen miteinander verknüpft werden“, erklärt Bernhard Hanke die Grundsätze des Projektlernens. Finanziert werden soll das Ganze durch private Förderer und Investoren sowie durch öffentliche Mittel und eine Stiftung, die im kommenden Jahr gegründet werden soll.

Früher hat Bernhard Hanke mit Schulklassen Spielplätze in Freiburg neu gestaltet. „Das waren ganz ähnliche Projekte wie am Grabowsee“, erzählt der Gärtnermeister. Nur einige Dimensionen kleiner. „Aber auch unsere Arbeit jetzt beginnt in einem überschaubaren Rahmen. Zunächst werden wir einen Schuppen als Bauhütte herrichten, um anschließend drei benachbarte ehemalige Schwesternwohnheime instand zu setzen.“ Eine Kooperation strebt Hanke mit der Knobelsdorff-Schule an, einem Oberstufenzentrum für Bautechnik in Spandau. Im Rahmen ihrer Ausbildung sollen Berufsfachschüler die anfallenden Arbeiten an den Gebäuden übernehmen.

Vor drei Jahren zog Bernhard Hanke nach Berlin, um das Projekt zusammen mit Pädagogen, Architekten und Stadtplanern aufzubauen. „Immer wieder stoßen neue kompetente Leute zu den Arbeitsgruppen“, freut sich Hanke, der als Vereinsvorsitzender die Planungen koordiniert. Längst ist das Vorhaben von Kids Globe für ihn zur Lebensaufgabe geworden.

Auf den ersten Blick wirke das Vorhaben wie eine Träumerei, meint Oranienburgs Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke. Doch die Kompetenz von Kids Globe habe ihn überrascht. Zwar sei Bernhard Hanke kein Experte für Bebauungspläne oder für Projektentwicklung, meint der Bürgermeister, „aber Kids Globe hat immer ausgewiesene Fachleute an der Hand“. Mittlerweile ist Hanke auch nach Oranienburg gezogen. Damit ist er näher dran an dem einst prächtigen Ensemble aus dreißig Gebäuden der Kaiserzeit, deren Bausubstanz – wie durch ein Wunder – nahezu unbeschädigt ist.

Dennoch bedarf es einiger Fantasie, um sich die Pläne von Kids Globe auf dem Gelände vorzustellen. Denn der Glanz der denkmalgeschützten Häuser ist schon lange verblasst, und seitdem die russische Armee vor zwölf Jahren das Gelände verlassen hat, liegt das Areal brach. Der Blick durch den Zaun aus verrosteten Metallplanken und Stacheldraht fällt auf eingefallene Garagen, Nachkriegsbauten der Roten Armee. An einem Schuppen hängt ein warnendes Schild, das auf frei laufende Hunde hinweist. Darunter steht eine Telefonnummer. Unter der meldet sich Heinz Müller, Eigentümer des Geländes.

Heinz Müller ist Geschäftsführer der Firma GTT Telekom und offenbar ein Liebhaber alter Gebäude. Der Immobilienhändler regt sich etwa darüber auf, dass ein kunstvolles Relief, das Hippokrates zeigte, am Haupteingang abgeschlagen wurde.

Die Gebäude allerdings gibt Müller dem Verfall preis. Denn seiner Sicherungspflicht wegen des Denkmalschutzes für das Ensemble ist er bisher nicht nachgekommen. Das übernimmt Kids Globe für ihn. Anfangs wollte der Geschäftsmann am Grabowsee wieder eine Klinik ansiedeln, aber das Vorhaben hat er mittlerweile aufgegeben. Nun steht Heinz Müller mit Kids Globe in Verhandlung.

Auf der Suche nach Geld

Der Verein will das Gelände erwerben, braucht dafür aber weitere Fördermitglieder und prominente Fürsprecher, die wiederum potenzielle Investoren auf das Bildungsprojekt aufmerksam machen. Kids Globe sucht den Kontakt beispielsweise zur Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) oder zur einflussreichen Eurasia-Stiftung in Russland, deren Leiter Igor Chramow am Grabowsee aufgewachsen ist. Zugesagt haben ihre Unterstützung bereits der nigerianische Literat Wole Soyinka sowie Ludwig Güttler aus Dresden. Soyinka ist Nobelpreisträger und Unesco-Botschafter, Güttler einer der besten Trompeter der Welt und Kurator der Stiftung Frauenkirche. „Deren Aufbau haben anfangs auch viele nicht für möglich gehalten“, meint Hanke und sieht darin Parallelen zum Vorhaben am Grabowsee, wo man einen ebenso langen Atem bräuchte.

Natürlich würde Kids Globe am liebsten sofort mit der Sanierung der ehemaligen Schwesternwohnheime beginnen. Vorerst aber sichert der Verein das Gelände, flickt Zäune, repariert Dächer und wird dabei zeitweise von der Hennigsdorfer Firma NOVAreg unterstützt.

Oftmals bleiben die Arbeiten aber wirkungslos. Denn Plünderer machen sich an den Gebäuden zu schaffen. Schmiedeeiserne Treppengeländer, die in den 20er-Jahren Künstler aus der Kolonie Gildenhall in Neuruppin anfertigten, haben Unbekannte achtlos abgeflext. Für die Tonne Alteisen zahlt der Händler 150 Euro. Vor einigen Wochen begannen Metalldiebe sogar, die verzinkten Bleche von den Dachgauben zu reißen, sodass es jetzt überall hineinregnet. Fürs Kilo Zink gibt es einen Euro fünfzig.

Auf einem eisernen Glasdach über einem Balkon zeigt Bernhard Hanke die Spuren aus einer der letzten Nächte. Zwei Eisenträger ragen bedenklich über der Brüstung, bereit zur Demontage. „Das ist ein Jammer“, findet Hanke. Vor drei Wochen hat er zwei Plünderer auf frischer Tat ertappt. Der Kids-Globe-Aktivist rief die Polizei und versperrte mit seinem Wagen die Ausfahrt. Die beiden Männer saßen in der Falle. „Meistens sind das keine Profis“, meint Hanke, „sondern Leute aus der Umgebung, die schnelles Geld machen wollen.“ Die Metalldiebe kümmert kein Denkmalschutz.

Fünfzig Jahre hat die Rote Armee die Lungenklinik zum Sperrgebiet erklärt. Kids Globe strenge sich nun an, diesen weißen Fleck auf der Landkarte zu entfernen, und möchte das geschichtsträchtige Gebäudeensemble auch dem Ort wiedergeben, erklärt Bürgermeister Laesicke. „Bei den Oranienburgern stößt das Vorhaben natürlich auf Sympathie.“ Auch das Stadtoberhaupt wüscht sich wieder Leben auf dem Gelände. Manchmal komme ihm das verlassene Sanatorium vor wie ein „verwunschenes Dornröschenschloss“, findet Laesicke. Das Gelände ist zwar zugewachsen und auf den Terrassen sprießen Birken. Aber im Märchen gibt es eine Rosenhecke und keinen Stacheldraht, der das Areal sichert.