LESERINNENBRIEFE
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Was das alles kostet!

■ betr.: „Feilschen um den Kinderschutz“, taz vom 27. 10. 11

Und wieder wird gestöhnt angesichts möglicherweise entstehender Kosten, will man Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen. Was für eine Milchmädchenrechnung, müsste man meinen, wenn doch immer wieder gepredigt wird, dass man kein Kind zurücklassen dürfe – wenn auch nur aus wirtschaftlichen Erwägungen. Denn ein Kind, das über Jahre hinweg in allen erdenklichen Formen misshandelt wird, wächst sicher nicht zu einem an Leib & Seele gesunden, arbeitsfähigen Erwachsenen heran, sondern wird wahrscheinlich zeitlebens Kosten verursachen.

Nehmen wir mal an, eine solche Missbrauchsüberlebende kommt „nur“ mit einer komplexen, nach vielen Jahren des Missbrauchs chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung davon, dann entstehen der Krankenkasse hohe Therapiekosten für die Behandlung der psychischen und somatischen Verletzungen. Meist muss eine Erwerbsminderungs- bzw. Frührente gezahlt und mit Grundsicherung wenigstens auf das Existenzminimum aufgestockt werden. Oft ist auch eine Eingliederungshilfe nach Paragraf 53, 54 SGB XII erforderlich, die aktuell stark zusammengestrichen wird. Und manchmal wird einem solchen Menschen noch eine gesetzliche Betreuung zur Seite gestellt. Was das alles kostet!

Immerhin: Durch die sehr rigide Auslegung des OEG kommt der Staat meist um eine Entschädigungszahlung herum, weil das Opfer gar keine Strafanzeige gestellt hat und/oder die Straftaten verjährt sind. Den höchsten Preis aber zahlen die Opfer selbst, und der lässt sich nicht beziffern. KIRSTEN DIERCKS, Norderstedt

Das Neue steht noch nicht im Netz

■ betr.: „Kein Computer in der Grundschule!“, taz vom 26. 10. 11

Frau Pannen hat recht, wenn sie eine neue Lernkultur und eine neue Rolle für Lehrer fordert. Aber die Vorstellung, dabei das Internet in den Mittelpunkt zu stellen, ist abwegig. Es kommt mir vor wie die Hoffnung mancher Eltern, ihr Kind lerne mit einem „Gehfrei“ schneller laufen.

Es ist auch ein Irrtum, als Erwachsener sei es zentral, im Netz schnell und effizient recherchieren zu können. Erstens recherchiert man im Netz nicht wesentlich anders als in Zettelkästen und Indexbänden. Zweitens steht das Neue noch nicht im Netz, sondern muss ausprobiert, erdacht oder herausgefunden werden. Schulkinder brauchen selbstgesteuertes und von direkter Erfahrung geprägtes Lernen. Wichtig sind Experimente und direkter Umgang mit Quellen (am besten Dinge, nicht Dokumente). Und soziales Lernen ist allemal leichter, wenn man die Gesichter sieht und die Tonlage hört, als wenn man im Netz Mails mit Emoticons und eine Ermahnung vom Moderator erhält. Frank Küster, Miltenberg

Pädagogen-App mit Werbeblocker

■ betr.: „Kein Computer in der Grundschule!“, taz vom 26. 10. 11

Au ja, mit sechs Jahren oder vorher noch, mittels Smartphone, Tablet-PC, Netbook und so weiter den menschlichen Umgang mit dem Gegenüber ebenso wie mit dem Menschen aus Timbuktu erfahren. Angeleitet und begleitet von einem wachen und erfahrenen Pädagogen(-App mit Werbeblocker), ganz kindgerecht ausgestattet, gefahrenfrei, da es die „freiwillige Selbstverpflichtung der Kommerzbranche“ für unter 14-Jährige gibt, und per WLAN-Implantat auch gleich sensorisch gefördert. Warum die Kinder nicht gleich eindosen?

Die Schule soll Erfahrungen auf menschliche Art kultivieren, also verarbeiten helfen! Wer meint, dies könne über indirekte Medien geschehen, der Form halber steht noch ein Lehrer daneben, noch, ebenso wie über die Interaktion von physisch anwesenden Menschen, für den ist eine Skype-Kommunikation vermutlich auch das Gleiche wie ein persönliches Gespräch. Grundprinzipien und Herangehensvarianten, sozusagen persönliche Flexibilität, Emphatie, Phantasie usw. ausloten lernen, das ist schulisch und für das Menschsein nötig. Dies zu vermitteln geht heute schon im angehäuften „Wissenswust“ unter. Da hilft auch der Rechner nicht.

Den Umgang mit diesen Alltagsgegenständen muss niemand in der Schule erlernen. Das Ausdrücken, wie diese auf mich wirken, wo Gefahren bestehen, Manipulation, wie jene genutzt werden können, das ist schulisch. Alles (technische) Wissen, das vermittelt werden kann, ist morgen schon kaum anwendbar, weil veraltet. Da ist kein Netbook nötig. Auch wenn es ein toller, steuerfinanzierter Absatzmarkt ist.

Was sich sonst in derartigen Forderungen ausdrückt, sind doch Ängste der Erwachsenen, technischen Entwicklung nicht folgen zu können. Aber da sollen sie sich mal an Produktentwickler wenden, die am Mensch vorbei fachidiotisch entwickeln, nicht an unkritische Kinder und jenen Medienkompetenz unterstellen, die unterstelle ich nicht einmal den Erwachsenen, geschweige denn mir selbst.

HENDRIK FLÖTING, Berlin

Lobby gehört nicht zur Demokratie

■ betr.: „Warum wir’s ganz genau wissen wollen“, taz vom 29./30. 10. 11

Lobby gehört nicht zur Demokratie, sie höhlt die Demokratie aus! Demos-Kratein = das Volk herrscht (und nicht die Großindustrie!). Welch ein absurdes Demokratieverständnis spiegelt dieser Kommentar wider. Als nächstes folgt noch: Bestechung gehört zur Demokratie! Wir wollen’s gar nicht genau wissen, wir wollen, dass es geächtet wird. NORBERT VOSS, Berlin